Freitag, 19. Januar 2018
Schicksale
Wir besichtigen die Barracks am Hyde Park. Von außen ein imposanter Bau, von innen spartanisch.



Die Sträflinge schliefen dicht an dicht in Hängematten. Harte Zwangsarbeit am Tag, wenig zu essen, nachts zusammengepfercht in Schlafsälen mit bis zu siebzig Männern.



Der jüngste Häftling war ein neun Jahre alter Junge aus England, nach Australien in die Verbannung geschickt für den Diebstahl einer Uhr. Die Behandlung war für alle gleich, ob neun oder neunzig Jahre alt. Der Junge starb mit dreizehn; er war den Strapazen nicht gewachsen. Ich weiß nicht, ob er während seiner Zeit in den Barracks ausgepeitscht wurde wie so viele andere. Vielleicht weil er zu krank zum Arbeiten war, aber seine Wärter meinten, er täusche die Krankheit nur vor? Sechsundreißig Peitschenhiebe setzte es dafür; jedenfalls war das die Strafe für einen jungen Mann namens John Tree.



Irgendwann kam jemand auf die Idee, die einfache Peitsche zu ersetzen durch eine mit neun Schwänzen - da freut sich der Sadist.

Von 1819 bis 1848 dienten die Barracks als Männergefängnis, danach waren sie bis 1886 Eingangsunterkunft für immigrierende Frauen. Hungersnot in Irland, Frauenmangel in Australien: viele verwaiste Mädchen wanderten nach Australien aus, bekamen Arbeit, heirateten und mehrten sich. So wie die Irin Mary, die älteste von mindestens fünf Geschwistern. Als ihre Eltern (wahrscheinlich an Unterernährung) starben, war sie siebzehn und kam ins Arbeitshaus. Die Zustände waren furchtbar, viele ihrer Mitbewohner starben an Typhus. Mary ergatterte ein Ticket und verließ Irland mit 233 anderen irischen Waisenkindern, um in Australien eine neue Heimat zu finden. Die ersten Nächte verbrachte sie in den Barracks. Dann fand sie eine Anstellung, heiratete zweimal und bekam zwölf Kinder.

Es sind Einzelschicksale, die Geschichte lebendig machen. Wer die Vergangenheit begreifen will, sollte Biografien lesen. Ich empfehle „Die Asche meiner Mutter“ von Frank McCourt und den Film „In einem fernen Land“ mit Nicole Kidman. Arnd legt sich in eine der Hängematten im Schlafsaal, ich teste eines der Eisenbetten der Frauen. Wir versuchen nachzuspüren, wie es den Menschen damals ging; es ist nicht leicht.



Auch in diesem Museum vergeht die Zeit viel zu schnell; um 17 Uhr müssen wir gehen – wieder einmal voller Eindrücke, die sich nur schwer in Worte fassen lassen. Die Welt draußen ist eine andere, ordentlich und sauber, warm und sicher. Wir bummeln durch meinen Lieblingsstadtteil Surry Hills und essen lecker Pizza (schon wieder) in einem urigen Lokal unter freiem Himmel, während in Deutschland Schneestürme toben.

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