Mittwoch, 21. Februar 2018
Louise von Seybold
Frühstück, Zeitung lesen und Tagesplanung. Ich blättere durch das Infomaterial, das ich gestern zusammengesammelt habe. New Orleans Plantation Country: Da gibt es noch viel zu entdecken. Die San Francisco Plantation sticht heraus: Das Haus ist nicht weiß, sondern bunt. Ich mag bunte Häuser! Und ich mag die Geschichte dieser Plantage.



1855: Louise von Seybold ist zwanzig Jahre alt, als sie sich in den sieben Jahre älteren Valsin Marmillion verliebt. Der Sohn des herrischen Plantagenbesitzers Edmond Marmillion bereist Europa und in München begegnet er Louise; sie und Valsin heiraten und wollen dort bleiben. Edmond ist stinksauer, hatte er doch andere Heiratspläne für seinen Sohn. Louise möchte Frieden stiften und überredet Valsin zu einem Besuch des Vaters. Bei ihrer Ankunft ist das Haus blumengeschmückt und Louise sagt: „Schau mal, es ist alles für die Versöhnung bereit!“ Weit gefehlt, Edmund ist am Tag zuvor gestorben; Louise und Valsin kommen gerade rechtzeitig zur Trauerfeier.



Edmonds Tod wirft alle Pläne über den Haufen; Valsin übernimmt die Plantage. Louises Mittel gegen Heimweh: sie macht das Haus bunt. Die Fensterrahmen werden sonnig gelb, die Fensterläden leuchtend blau gestrichen. Jedes Zimmer bekommt einen eigenen Look; besonders kostbar sind die Deckengemälde eines italienischen Künstlers.

Dreiundzwanzig Jahre lang schreibt Louise Briefe nach Hause, bis sie endlich 1879 nach Bayern zurückkehrt. In ihrer Zeit in Louisiana bekommt sie fünf Töchter, beerdigt zwei davon im Baby- und Kleinkindalter, dann 1871 Valsin und 1875 ihren Schwager Charles. Sie spricht fünf Sprachen, unterrichtet ihre Kinder selbst, näht alle Kleidung und führt nach dem Tod der Männer die Plantage.

Zu gern möchte ich ihre Briefe lesen. Wie hat Louise sich gefühlt? Wie hat sie den Krieg und die schwere Zeit danach erlebt? Wie ging es ihr mit der Sklavenhaltung? Obwohl Arnd und ich die Führung gleich zweimal machen und ich beiden Damen Löcher in den Bauch frage, bleibt vieles offen. Louise kam her und sah die schwarzen Menschen, die in den Augen der Weißen keine Menschen waren. Was hat sie gedacht, was hat sie gefühlt? Sie wuchs in Bayern auf, in einer anderen Welt. Wie hat sie die neue Welt gesehen? Wie war ihr Blick auf die Dinge?

Ich stehe auf dem Deich, betrachte das bunte Haus noch einmal aus der Ferne und die petrochemischen Fabriken rechts und links davon. Betty - sie und ihr Mann haben die zweite Führung mitgemacht - erzählt, dass sie die Gegend hier Cancer Alley nennen. Der Mississippi ist verseucht und die Menschen werden krank. Über all dem leuchtet blau der Himmel und wir machen ein fröhliches Foto. Warum auch nicht.

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Dienstag, 20. Februar 2018
Es geht auch anders
Was geschah nach dem Civil War (1861-1865)? Wie kann es sein, dass die St. Joseph Plantage bis heute Zucker produziert, obwohl doch die Sklavenhaltung so maßgeblich war für den erfolgreichen Betrieb einer Plantage? Silvia, eine wunderbare siebzigjährige ehemalige Englischlehrerin, führt uns herum und beantwortet all meine Fragen.



1857 werden Josephine und Alexis Ferry Eigentümer der Farm, die wir heute besichtigen. Vier Jahre später bricht der Krieg aus und ihre Existenz zusammen. Danach ist alles anders. Die Eigentümer verlieren mit den Sklaven nicht nur die Arbeitskräfte, sondern einen Großteil ihrer Aktiva. Der Wert der Plantage mit allen Gebäuden beträgt 40.000 Dollar, dazu kommt das Mobiliar mit 71.000 Dollar. Die dreiundvierzig Sklaven kosten soviel wie das Inventar, ebenfalls 71.000 Dollar, das entspricht einem heutigen Wert von 1.775.000 Millionen Dollar. Dieses Geld ist von einem Tag auf den anderen verloren.

Josephine und Alexis versuchen zu überleben, können aber irgendwann die Grundsteuern nicht mehr bezahlen und 1877 wird die Plantage zwangsversteigert. Ein Spekulant kauft sie für 18.000 Dollar, um sie eine Woche später für 25.000 Dollar an Joseph Wagensbach wieder zu verkaufen. Joseph wird finanziell unterstützt von seiner in Frankreich lebenden Tante und macht sich an die Arbeit. Immer noch leben die befreiten Sklaven in ihren Hütten. Wo sollen sie auch hin? Sie kennen nichts anderes als das Sklavendasein. Joseph beschäftigt sie als bezahlte Arbeiter, packt selbst mit an und nach langen Jahren der Mühsal wird die Farm wieder profitabel. Reich kann man so nicht werden, aber man hat sein Auskommen.



Heute lebt und arbeitet hier die siebte Generation der Familie. Erst seit etwa fünfzig Jahren erleichtern Maschinen die Arbeit. Aber nicht nur der Zucker verdient Geld. Auch die Lage am Mississippi lohnt sich; die Liegeplätze am Ufer sind bares Geld wert.



Dazu kommt der Museumsbetrieb und die Vermietung der Location für Filmaufnahmen. Man sieht: Es geht auch ohne Sklavenarbeit.

Im Museumsshop unterhalten wir uns noch eine Weile sehr angeregt mit Silvia. Der Besuch hier tut mir gut. Silvias Perspektive ist eine andere als die von Ali. Ali ist persönlich betroffen vom Schicksal seiner Vorfahren; seine sehr emotionale Führung hat mich tief berührt, aber auch irgendwie hilflos zurückgelassen. Was soll man auch denken und fühlen, wenn Menschen anderen Menschen so furchtbare Dinge antun? Menschenhandel und Sklaverei hat es immer schon gegeben. Es ist ja auch nicht so, dass es für die Europäer schwierig gewesen wäre, Sklaven zu bekommen. Sklaverei war in Afrika gängige Praxis und die Europäer bekamen ihre Arbeitskräfte frei Hafen geliefert – von afrikanischen Stammesfürsten, die andersstämmige Menschen loswerden wollten. Heute nennt man das ethnische Säuberung. Wie gesagt: Die Liste derer, die vom Menschenhandel profitierten, ist unglaublich lang.



Mich tröstet heute die Geschichte der Wagensbachs. Die Plantage gehört immer noch der Familie; inzwischen sind es dreihundert Anteilseigner, von denen sich ungefähr einhundert jedes Jahr zur Aktionärsversammlung treffen und ihr kleines Unternehmen feiern. Manch einer, der hier zur Welt gekommen ist, ist auch hier gestorben und hatte ein arbeitsreiches, aber gutes Leben. Dann erzählt Silvia uns von einem älteren farbigem Mann, der 2016 an ihrer Führung teilnahm - kurz nach einem Attentat auf weiße Polizisten in Dallas, nachdem vorher zwei Schwarze erschossen worden waren. Der Besucher sagte mit Blick auf die ehemaligen Sklavenhütten in etwa folgendes: „Hier habe ich die glücklichsten Jahre meines Lebens verbracht. Für mich ist das der friedlichste Platz der Welt. Es ist so schrecklich, was in der Welt passiert. Ich musste einfach herkommen, um Frieden zu finden.“ Er hatte mit seiner Familie in einer der Hütten gelebt und in seiner Kindheit gab es auf der Plantage - anders als draußen - keine Rassentrennung (wir erinnern uns: erst 1964 wurde die Rassentrennung aufgehoben – zumindest offiziell). Mit Tränen in den Augen schwärmte er von seiner glücklichen Kindheit. Auch das ist Teil der Geschichte.

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Montag, 19. Februar 2018
Sklaven
Nimm ihnen ihre Freiheit, ihre Kultur, ihre Tradition, ihre Familie, ihren Glauben, verbiete ihnen jegliche Bildung und du hast die perfekten Arbeitskräfte. Sklaverei als Produktionsfaktor. Ali, unser Tourguide, stammt von Sklaven ab – genau wie alle anderen schwarzen Amerikaner. In Afrika eingefangen, verschleppt, verkauft und zur Arbeit und/oder Reproduktion zwecks Vermehrung des Humankapitals gezwungen. Im Alter von zehn Jahren für erwachsen erklärt, der Mutter entrissen und vermarktet. Durchschnittliche Nutzungsdauer auf einer Zuckerplantage: zehn Jahre, dann Tod. Denn die Arbeit ist hart, oft lebensgefährlich und die Versorgung schlecht. Hinter der Sklavenhaltung steht eine ganze Industrie bis hin zur Versicherungsgesellschaft, bei der der Plantagenbesitzer seine Sklaven risikoversichert. Artikel 537 des Bürgerlichen Gesetzbuches (Civil Code) von Louisiana bezeichnet Sklaven als natürliche Früchte der Erde und setzt ihre Vermehrung gleich mit der Zucht von Vieh. Sklaven sind keine Menschen; Frauen werden zwangsbegattet, damit sie Früchte tragen. Manche bekommt fünfzehn Kinder, jedes von einem anderen Mann.



Ali führt uns über die Whitney Plantage. Der Fokus liegt auf dem Schicksal der schwarzen Frauen, Männer und Kinder. Ohne sie keine Baumwoll-, Zucker-, Tabak-, Indigo- und Reisproduktion, ohne sie keine reichen Plantagenbesitzer im Süden und keine Profiteure im Norden. Der Stahlkäfig für noch nicht verkaufte Sklaven ist Wertarbeit aus einer Fabrik des Nordens genau wie die Schiffe für den Sklaventransport. Alle profitieren von Sklavenhandel und Sklavenarbeit, nicht nur in Amerika, sondern in allen Kolonien, in Europa, einfach überall auf der Welt – bis hin zu den Rumhäusern in Flensburg. Nur Australien begnügt sich mit Strafgefangenen für die Fronarbeit. Die Zahl der nach Nord- und Südamerika verschifften Sklaven wird auf über zwölf Millionen geschätzt. Ein Riesengeschäft.



Das ist harter Tobak. Wir folgen Ali durch die Einrichtungen der Plantage: Die Kirche, in der Sklaven zwangsgetauft wurden, die Hütten, in denen sie schliefen und vor denen sie gut sichtbar für alle anderen ausgepeitscht wurden, das Haus des Aufsehers, das Küchengebäude, die Stallungen, die Remise mit fünf nie genutzten Wagen, die nur als Statussymbole dienten und natürlich das noble Herrenhaus. Das Besondere: In der Kirche und an ausgewählten Plätzen stehen und sitzen vierzig Sklavenkinder – lebensgroße Statuen, die mehr sagen als tausend Worte. Dann gibt es das Feld der Engel, gewidmet den zweitausendzweihundert Sklavenkindern, die hier und auf den Nachbarplantagen starben und achtzehn Steinwände mit Granitplatten, in die die Namen von einhundertsiebentausend Sklaven eingraviert sind.



Fast zweihundertfünfzig Jahre lang war die Sklaverei eine bedeutende Säule der amerikanischen Wirtschaft und erst seit etwas mehr als einhundertfünfzig Jahren ist sie Vergangenheit. Ich erinnere mich an das Attentat auf die schwarzen Kinder in der Kirche von Birmingham, Alabama, verübt von wütenden weißen Männern im Jahr 1963. Erst seit 1964 sind Afroamerikaner rechtlich gleichgestellt, hundert Jahre nach Abschaffung der Sklaverei. Wie lange wird es dauern, bis wirklich keiner mehr einen Unterschied macht?

Gib den Menschen Freiheit, Bildung, Kultur, Tradition, Familie, Glauben und sie werden ihren Weg machen. Ali ist leidenschaftlich wütend auf die Vergangenheit und engagiert sich gleichzeitig voller Begeisterung für die Zukunft. Er prangert die moderne Sklavenhaltung an – die der Menschen ohne Freiheit, Bildung, Kultur, Tradition, Familie, Glauben: billige Arbeitskräfte für den Wohlstand der anderen.



Ach, Scarlett, deine Welt musste zusammenbrechen. Und was wird aus unserer Welt?

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