Samstag, 24. Februar 2018
Arnold
Die alte Hure New Orleans streckt mir die Hand zur Versöhnung entgegen – in Gestalt von Arnold, der heute morgen an unsere Tür klopft. Er ist der Vater von Aaron, der uns diese Hütte vermietet hat und ein sehr, sehr netter Mann. Er und seine Frau Betty, die später dazu stößt, haben zwei Söhne, die beide mit Unterstützung ihrer Eltern ihr Geld damit verdienen, alte Häuser Airbnb-tauglich zu machen und dann zu vermieten.



Arnold möchte wissen, ob wir uns wohlfühlen. Ganze vier Stunden sitzt er mit uns am Küchentisch und wir reden über Gott und die Welt und natürlich auch über das Haus und über New Orleans. Wir haben eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen für diese Unterkunft – angefangen bei den schimmeligen Badezimmerteppichen (die wir nach draußen verbannt haben) bis hin zum Geschirrspüler, der so eklig ist, dass wir ihn nur einmal kurz geöffnet haben und dann nie wieder. Das Haus stammt aus den Sechzigern und die hohe Luftfeuchtigkeit hat ihm über die Jahrzehnte sehr zugesetzt. Wie gesagt: Abreißen wäre eine gute Alternative.



Es gibt aber auch viel, das ohne großen Kostenaufwand sofort verbessert werden kann und junge Menschen in Partylaune sind bestimmt dankbar für diese relativ günstige Unterkunft in der Nähe von New Orleans. Wir einigen uns darauf, dass es außerdem gut wäre, den Internetauftritt etwas ehrlicher zu gestalten: „What you see, is what you get.“ Am Ende ist jedoch der Sohn verantwortlich und der elterliche Einfluss begrenzt – man kennt das.

Mein Gefühl für diesen Ort verbessert sich durch den Besuch und unsere angeregte Unterhaltung; dennoch werden wir New Orleans keine Träne nachweinen. Arnold erzählt uns, dass die Behörden den Eigentümern der Häuser im French Quarter quasi verbieten, die marode Bausubstanz der historischen Häuser zu verbessern, aus Angst, der Charakter könnte sich verändern. Man befürchtet, die Touristen würden fernbleiben. Arnold glaubt aber, dass die Dinge sich über kurz oder lang von selbst erledigen – das Alte wird sterben und Neues wird entstehen. Er sagt viele kluge Dinge und hat einen wunderbaren Humor; nicht umsonst sitzen wir so lange zusammen.



Später am Tag machen wir einen Ausflug zum exklusiven Southern Yacht Club und fahren dann über die ehemals längste Brücke der Welt. Sie ist fast vierzig Kilometer lang, führt über den Lake Pontchartrain und verbindet New Orleans mit Mandeville. Mandeville ist ein kleiner feiner Ort; hier lebt der gehobene Mittelstand. Die Häuser sind schön und die Straßen sauber. Und dann kehren wir ein letztes Mal zurück in das Haus in Kenner. Morgen verlassen wir Louisiana und reisen weiter nach Westen. Texas, wir kommen!

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Freitag, 23. Februar 2018
New Orleans
Silvia, unser Guide auf der St. Joseph Plantage, hat uns einen Besuch des Hermann-Grima Hauses im French Quarter von New Orleans empfohlen, insbesondere, wenn ihre Kollegin Diane die Führung macht. Von unserem Wohnort Kenner aus brauchen wir fünfundvierzig Minuten. Schon auf unseren Touren zu den Plantagen ist uns aufgefallen, wie schmutzig, schäbig, verwahrlost und hässlich hier so vieles ist: die Gegenden, durch die wir fahren, die Häuser, die Fabriken. Die Plantagen im Grünen lassen uns dann immer wieder durchatmen.

Aber in den Straßen des French Quarters stinkt es; offenbar gibt es Probleme mit der Kanalisation und der Müllabfuhr. Auch hier: viel Dreck, kaputte Häuser, verwahrloste Menschen. Für achtzehn Dollar parken wir das Auto, dann machen wir uns auf den Weg zum Hermann-Grima Haus. Diane ist nicht da; also führt uns eine junge Dame herum, die sich selbst als „History Nerd“ bezeichnet. Das Haus ist groß, feudal und muffig, genau wie das Gallier Haus, das wir anschließend besichtigen.



Wir bekommen eine Ahnung davon, wie es war, im 19. Jahrhundert als Kaufmann, Makler, Architekt oder Richter in der Stadt zu leben – im Winter ganz okay, im Sommer zu heiß und zu schwül. Wer es sich leisten konnte, verbrachte den Sommer außerhalb der Stadt, um dem Gestank, der Hitze, dem Dreck und den Krankheiten zu entgehen.



Wir wandern durch das French Quarter. Mitten auf der Straße spielt eine Jazzband, wir begegnen Künstlern und Bettlern, „Poets for Hire“ bieten Gedichte an, eine Frau im Vogelkostüm tanzt über die Straße, eine andere legt Karten. Viel zu große Autos quälen sich durch die engen Straßen, Pferdekutschen und Fahrradrikschas fahren Touristen herum.



Die Häuser mit ihren schönen Balkonen tragen noch den Mardi-Gras-Schmuck. Es ist, als läge so kurz nach dem Karneval eine Art Katerstimmung über allem. Und überall dieser Renovierungsstau. Für mich riecht das French Quarter nach Verwesung - dazu passt das große Angebot an Geistertouren, Totenschädeln und Voodookram. Unbeschwerte Fröhlichkeit geht anders. Ich ahnte es ja schon: New Orleans und ich werden keine Freunde.

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Donnerstag, 22. Februar 2018
Das weiße Schloss von Louisiana
Fünftausend Quadratmeter Wohnfläche, vierundsechzig Räume, drei Bäder mit fließend Wasser (kalt und warm!) und Spültoiletten (!!), ein weißer Ballsaal für große Gesellschaften und eine Bowlingbahn für die Familie: Das ist Nottoway, das „Weiße Schloss von Louisiana“.



John Hampden Randolph ist der Bauherr. Nach vier Jahren Bauzeit ist Nottoway 1859 bezugsfertig für die große Familie: John und seine Frau Emily (seine große Liebe) haben am Ende elf Kinder, die alle das Erwachsenenalter erreichen – das ist schon etwas Besonderes in diesen Zeiten.



John ist Geschäftsmann durch und durch. Zunächst bewirtschaftet er Baumwollplantagen. Als der Preis für Baumwolle sinkt, wendet er sich dem Anbau von Zuckerrohr zu. Eine Erbschaft seiner Frau ermöglicht ihm die geschäftliche Expansion. Den Krieg, der 1861 beginnt, sieht er kritisch, denn die Landwirtschaft des Südens und die Industrie des Nordens brauchen einander. Aus kaufmännischer Sicht (nicht nur, aber auch) ist der Krieg unsinnig. Drei seiner Söhne ziehen in den Kampf; der Tod des ältesten hinterlässt Wunden, die nie wieder heilen, ein zweiter Sohn erholt sich zeit seines Lebens nicht von seinen traumatischen Kriegserlebnissen.



John erkennt, dass motivierte Arbeiter – auch wenn sie Sklaven sind – bessere Leistung bringen. Darum sorgt er für verhältnismäßig gute Bedingungen. Die Unterkünfte sind weiß getüncht, es gibt ein Waschhaus, medizinische Versorgung, freie Tage, die Erlaubnis, Tiere zu jagen und zu halten und die Verpflegung ist besser als auf anderen Plantagen. Außerdem kauft und belässt John seine Sklaven immer im Familienverbund, damit sie einen Grund haben zu bleiben und nicht fortlaufen.

John ist ein Familienmensch. Er genießt die Zeit, die er mit Frau und Kindern verbringt. Eine Sonderstellung hat Tochter Cornelia. Sie malt, musiziert und schreibt Tagebuch. Nach dem Tod des Vaters veröffentlicht sie es abgewandelt unter dem Pseudonym M. R. Ailenroc: „The White Castle of Louisiana“. Sie widmet es ihrem Vater und allen, die „seine kindliche Zuversicht und seinen noblen Charakter“ haben. Ich lese das und denke an meinen Papa; das Buch ist dann wohl auch ihm gewidmet.

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