Montag, 19. Februar 2018
Sklaven
Nimm ihnen ihre Freiheit, ihre Kultur, ihre Tradition, ihre Familie, ihren Glauben, verbiete ihnen jegliche Bildung und du hast die perfekten Arbeitskräfte. Sklaverei als Produktionsfaktor. Ali, unser Tourguide, stammt von Sklaven ab – genau wie alle anderen schwarzen Amerikaner. In Afrika eingefangen, verschleppt, verkauft und zur Arbeit und/oder Reproduktion zwecks Vermehrung des Humankapitals gezwungen. Im Alter von zehn Jahren für erwachsen erklärt, der Mutter entrissen und vermarktet. Durchschnittliche Nutzungsdauer auf einer Zuckerplantage: zehn Jahre, dann Tod. Denn die Arbeit ist hart, oft lebensgefährlich und die Versorgung schlecht. Hinter der Sklavenhaltung steht eine ganze Industrie bis hin zur Versicherungsgesellschaft, bei der der Plantagenbesitzer seine Sklaven risikoversichert. Artikel 537 des Bürgerlichen Gesetzbuches (Civil Code) von Louisiana bezeichnet Sklaven als natürliche Früchte der Erde und setzt ihre Vermehrung gleich mit der Zucht von Vieh. Sklaven sind keine Menschen; Frauen werden zwangsbegattet, damit sie Früchte tragen. Manche bekommt fünfzehn Kinder, jedes von einem anderen Mann.



Ali führt uns über die Whitney Plantage. Der Fokus liegt auf dem Schicksal der schwarzen Frauen, Männer und Kinder. Ohne sie keine Baumwoll-, Zucker-, Tabak-, Indigo- und Reisproduktion, ohne sie keine reichen Plantagenbesitzer im Süden und keine Profiteure im Norden. Der Stahlkäfig für noch nicht verkaufte Sklaven ist Wertarbeit aus einer Fabrik des Nordens genau wie die Schiffe für den Sklaventransport. Alle profitieren von Sklavenhandel und Sklavenarbeit, nicht nur in Amerika, sondern in allen Kolonien, in Europa, einfach überall auf der Welt – bis hin zu den Rumhäusern in Flensburg. Nur Australien begnügt sich mit Strafgefangenen für die Fronarbeit. Die Zahl der nach Nord- und Südamerika verschifften Sklaven wird auf über zwölf Millionen geschätzt. Ein Riesengeschäft.



Das ist harter Tobak. Wir folgen Ali durch die Einrichtungen der Plantage: Die Kirche, in der Sklaven zwangsgetauft wurden, die Hütten, in denen sie schliefen und vor denen sie gut sichtbar für alle anderen ausgepeitscht wurden, das Haus des Aufsehers, das Küchengebäude, die Stallungen, die Remise mit fünf nie genutzten Wagen, die nur als Statussymbole dienten und natürlich das noble Herrenhaus. Das Besondere: In der Kirche und an ausgewählten Plätzen stehen und sitzen vierzig Sklavenkinder – lebensgroße Statuen, die mehr sagen als tausend Worte. Dann gibt es das Feld der Engel, gewidmet den zweitausendzweihundert Sklavenkindern, die hier und auf den Nachbarplantagen starben und achtzehn Steinwände mit Granitplatten, in die die Namen von einhundertsiebentausend Sklaven eingraviert sind.



Fast zweihundertfünfzig Jahre lang war die Sklaverei eine bedeutende Säule der amerikanischen Wirtschaft und erst seit etwas mehr als einhundertfünfzig Jahren ist sie Vergangenheit. Ich erinnere mich an das Attentat auf die schwarzen Kinder in der Kirche von Birmingham, Alabama, verübt von wütenden weißen Männern im Jahr 1963. Erst seit 1964 sind Afroamerikaner rechtlich gleichgestellt, hundert Jahre nach Abschaffung der Sklaverei. Wie lange wird es dauern, bis wirklich keiner mehr einen Unterschied macht?

Gib den Menschen Freiheit, Bildung, Kultur, Tradition, Familie, Glauben und sie werden ihren Weg machen. Ali ist leidenschaftlich wütend auf die Vergangenheit und engagiert sich gleichzeitig voller Begeisterung für die Zukunft. Er prangert die moderne Sklavenhaltung an – die der Menschen ohne Freiheit, Bildung, Kultur, Tradition, Familie, Glauben: billige Arbeitskräfte für den Wohlstand der anderen.



Ach, Scarlett, deine Welt musste zusammenbrechen. Und was wird aus unserer Welt?

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