Samstag, 3. Februar 2018
View from a bridge
Unser vorletzter Tag in Sydney beginnt mit einer Fahrt zum Flughafen. Ein Ex-Kollege von Arnd und Amit, Puneet aus Indien, kommt heute mit Frau und Kind in Sydney an. Arnd, Amit und Puneet haben einige Jahre in England zusammen gearbeitet und Arnd freut sich, heute auch Puneet wieder zu treffen, den er das letzte Mal 2012 oder 2013 gesehen hat. Puneet und seine Frau wollen wie Amit und Anusha ihr Glück in Australien versuchen. Puneet staunt nicht schlecht, als er von Arnd begrüßt wird und freut sich sichtlich.



Nach dieser sehr netten Begegnung am Flughafen trennen sich unsere Wege wieder. Ich schlage Arnd vor, zum Abschluss unserer Zeit in Sydney die Harbour Bridge einmal zu Fuß zu überqueren. Heute ist es bewölkt und windig, aber trotzdem warm. Der Blick über den Hafen mit all den großen und kleinen Booten, der Oper und dem obligatorischen Kreuzfahrtschiff stimmt mich ein bisschen sentimental. Sydney ist eine tolle Stadt mit einer sehr freundlichen, ja herzlichen Atmosphäre. Die Menschen begegnen uns offen, hilfsbereit, nett und aufmerksam – und irgendwie wird hier gefühlt deutlich mehr gelächelt und gelacht als anderswo. Ob das am Wetter liegt?



Zurück im Apartment freuen wir uns auf einen ruhigen Abend. Arnd sieht sich im Internet eine Aufzeichnung der Volvo Ocean Race an und ich sitze schreibend auf dem Sofa, als es plötzlich an der Tür klappert und ein junger Mann namens Kevin im Raum steht. Wir starren uns gegenseitig an und sind uns zumindest darin einig, dass der jeweils andere hier nichts zu suchen hat.

Kevin erwartet ein leeres Apartment, in das in zwei Stunden seine Eltern einziehen können. Da wir dieses Apartment aber bis Montag gemietet haben, hat er jetzt ein Problem, das Lynn und ihr „Support Team“ hoffentlich lösen werden. Lynn und ihre Mitarbeiter bieten ihre Unterkünfte wohl auf diversen Internetplattformen an und eine Koordination der Daten findet nicht statt. Aber nett sind sie und ich bin zuversichtlich, dass sie auch für dieses Problem eine Lösung finden werden.

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Auf Christian Nielsens Spuren
In seinem Brief vom 23. Juni 1874 erwähnt Christian Nielsen den Ort Camden; da fahren wir heute mal hin! Es gibt ein kleines Museum, das wir uns ansehen können. Leider dauert die Fahrt zwei Stunden, aber mit einem guten Buch vor der Nase vergeht die Zeit wie im Flug. Gegen 15 Uhr sind wir endlich da; das gibt uns eine Stunde Zeit, das Museum zu besuchen, das um 16 Uhr schließt.

Camden wurde auf dem Grund und Boden der Macarthurs errichtet; ursprünglich hatte Williams Vater John im Jahr 1805 zwanzigtausend Quadratmeter zugeteilt bekommen und darauf seine Wollfarm betrieben. Nach Johns Tod 1834 teilten seine Kinder das Land auf und die Stadt Camden entstand.

Zwei ältere Herren, die ehrenamtlich in dem urigen und leicht muffigen Minimuseum arbeiten, sind mehr als glücklich, uns mit Informationen zu versorgen. In kleinen Vitrinen sind Alltagsgegenstände, Werkzeuge, Kleidungsstücke, Fotografien, Musikinstrumente, Spielzeug und vieles mehr liebevoll arrangiert, um die Geschichte der kleinen Stadt lebendig zu machen.



Christian Nielsen hat leider keine Spuren hinterlassen; es gibt zwar Verzeichnisse der Arbeiter, die für William Macarthur und seine Familie tätig waren, aber Christian Nielsen ist nicht dabei. In seinem Brief an William bewirbt er sich augenscheinlich voller Verzweiflung um einen Job auf der Schaffarm. Was wohl aus ihm geworden ist?



Nach diesem kleinen Ausflug in die Vergangenheit Australiens verbringen wir den Abend quasi in Indien bei Amit und Anusha; die beiden haben uns zum typisch indischen Essen zu sich nach Hause eingeladen. Anfangs dreht sich alles um ihren lebhaften sechsjährigen Sohn Ayaan; erst als er schlafen gegangen ist, können wir uns in Ruhe unterhalten. Das tun wir dann auch ausgiebig und es wird ein sehr langer gemütlicher Abend.

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Donnerstag, 1. Februar 2018
Eigentlich ist alles Kunst
Ich kann Arnd nicht genug loben für seine Geduld mit mir. Heute steht die Art Gallery New South Wales auf dem Programm; die muss ich einfach auch noch sehen.



Wir beginnen mit den Klassikern (oder um es mit Arnds Worten zu sagen: den alten Schinken). Wie immer genieße ich es, durch die großen Räume zu gehen und mir von Bildern Geschichten erzählen zu lassen.



Dann legen wir eine Pause ein. Im Café stärken wir uns mit leckerem Strawberry-Cheesecake; das gibt Kraft für die zweite Etappe, die moderne Kunst. Ich staune einmal mehr darüber, was so alles Kunst ist. Manches gibt mir Rätsel auf, zum Beispiel der von einem Besenstiel durchbohrte gelb bemalte Pappkarton. Aber das ist ja das Schöne: Kunst darf Rätsel aufgeben, es ist sogar eine ihrer Aufgaben.



Arnd ist derweil bei Bob Law angelangt, der sich offenbar ausgiebig mit schwarzen Flächen beschäftigt hat. Schwarz ist nicht gleich schwarz. Das hier ausgestellte Werk „Blue black indigo black“ aus dem Jahr 1977 darf nicht verwechselt werden mit dem Bild „Black blue violet blue“ (1967, Tate Gallery London) oder „Black black blue violet“ (1974, Stedelijk Museum Amsterdam). Jedes Werk „offers a different experience of blackness“. Bob Law hat es tatsächlich geschafft, drei komplett schwarze Leinwände in drei verschiedenen renommierten Galerien unterzubringen. Respekt!

Mel Ramsden setzt noch einen drauf. Auch er hat eine Leinwand schwarz angemalt und nennt sein Werk „Secret Painting“. Das Motiv ist unsichtbar und bleibt für immer ein Geheimnis, liegt also quasi im Dunkeln. Interessant.



Ich entdecke zwei Bilder von Katharina Grosse (von ihr stammt die Installation in den Carriageworks), betrachte sehr unterschiedliche von Studenten gemachte Bilder und Skulpturen zu schwierigen Themen (Krankheit, Umwelt, Migration…) und wandere durch riesige Installationen aus Tüchern und verfremdeten Alltagsgegenständen, bis wir wieder einmal als letzte aus dem Museum gefegt werden.



Dann bummeln wir durch die City. Ein paar junge Leute mit Anonymus-Masken tragen Bildschirme vor sich her. Wer will, kann sich darauf grausame Bilder aus der Fleischverarbeitung ansehen und von nun an vegan leben. Außerdem buhlen viele Straßenkünstler um die Aufmerksamkeit der spazierenden Massen, genauso wie die schicken Läden in der Einkaufsstraße. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, fällt mir auf: aus diesen Zutaten könnte man ein großartiges gesellschaftskritisches Gesamtkunstwerk zaubern.

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Mittwoch, 31. Januar 2018
Philosophieren mit ohne Flens
Bei Aldi gibt es heute Flensburger Bier! Wir werden Amit ein Sixpack mitbringen, wenn wir ihn und Anusha am Freitag besuchen. Allerdings: Weder das Wetter (plötzlicher Temperatursturz auf zweiundzwanzig Grad, dichte Wolkendecke) noch die Unternehmungslust locken uns heute allzu früh vor die Tür. Stattdessen klebe ich am iPad und recherchiere in Sachen „Christian Nielsen“, dessen Brief ich im Archiv der State Library nun endlich gefunden habe.





Ich tauche tief in die Geschichte ein und merke gar nicht, wie die Zeit vergeht. Plötzlich ist es 17 Uhr und endlich machen wir uns auf den Weg durch Wind und Wetter. Den Bus nehmen wir nicht, schließlich muss der Mensch sich auch mal bewegen.

Dann die große Enttäuschung: Flens ist aus. Die Aussies haben es palettenweise aus dem Laden gekarrt; das hätten wir uns ja denken können. Wären wir bloß früher hergekommen! Wenn wir um 12 Uhr da gewesen wären, hätten wir noch Flens bekommen! Oder besser um 10 Uhr? Oder um 8 Uhr? Wir wissen es nicht.

Und das ist die Erkenntnis des Tages: Du kannst nicht wissen, was gewesen wäre, wenn. Das ist ja grundsätzlich so bei Entscheidungen: Du weißt nie, was am Ende dabei herauskommt. Interessant ist, dass die Dinge oft rückwärts beurteilt werden, nämlich aus einer Perspektive, die es zum Zeitpunkt der Entscheidung noch gar nicht gab. Mit Informationen, die noch gar nicht zur Verfügung standen.



Aber selbst bei Vorliegen der entsprechenden Informationen wird die Entscheidung nicht zwangsläufig gut und richtig, denn die Informationen unterliegen immer auch der individuellen Interpretation. Wer kann denn ahnen, dass die Aussies so auf Flens abfahren?! Und sogar bei „richtiger“ Interpretation der vermuteten (!) Erfahrungswerte bedeutet das nicht, dass um 8 Uhr noch Flens da ist, geschweige denn, dass wir die Informationen jemals dahingehend hätten interpretieren wollen, dass wir uns mitten in der Nacht aus dem Bett quälen, um so früh bei Aldi vor der Tür zu stehen.

Will sagen: Man kann sich getrost von der Wenn-dann-Logik verabschieden, denn erstens ist man hinterher immer schlauer, zweitens weiß man nie, wie´s kommt und drittens wer weiß, wozu´s gut ist. Manche nennen das Fatalismus, ich nenne es Leben. Schon John Lennon sagte: „Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“

Jetzt kriegt Anusha eine Flasche Henkell trocken.

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