Sonntag, 11. März 2018
Festgefahren, gerettet und beschenkt
„Bist du sicher, dass wir hier lang fahren wollen?“ – „Klar, das Navi sagt, das ist der Weg nach San Diego!“ Wie immer meiden wir die Highways. Wir wollen nicht durchs Land rauschen, sondern das Land erleben; außerdem habe ich eine Autobahnphobie. Aber diese Straße ist bald keine Straße mehr, sondern bestenfalls eine Schotterpiste. Arnd fährt ganz langsam und es holpert und poltert. Dann eröffnet sich vor uns ein unglaubliches Bild: The Valley of the Names. Unendlich viele Namen, Herzen, Symbole sind hier mit Steinen auf den Schotter gelegt. Wir steigen aus, um zu fotografieren und zu filmen.



Dann fahren wir weiter. Die Straße wird immer schlechter, der Untergrund weicher und plötzlich greifen die Räder nicht mehr. Arnd gibt Gas, wir kommen wieder frei. Jetzt bloß nicht langsamer werden! Wir fahren wie durch Schnee oder Treibsand. Wo ist die befestigte Straße? Ich habe einen Moment nicht aufs Navi geguckt und schon sind wir von der Schotterpiste abgekommen. Es wird immer schlimmer. Laut Navi müssten wir gleich wieder auf der Piste sein, da passiert es: die Räder drehen durch, wir stecken fest. Was wir nicht wissen: Wir befinden uns in einem ehemaligen Flussbett mit extrem weichem Untergrund - für Fahrzeuge ganz und gar nicht geeignet.

Wir steigen aus und betrachten die Bescherung. Als die üblichen Versuche, wieder freizukommen, fehlschlagen, sehen wir langsam ein: Wir brauchen Hilfe. Zum Glück hat das Handy vollen Empfang (das fehlte noch, kein Netz…). Ich wähle 911 und habe die Highway Patrol am Ohr. Es dauert eine Weile, bis die Polizistin verstanden hat, wo wir sind, dann verbindet sie mich mit Jimbo´s 24-Hour Towing, nicht ohne mir vorher zu sagen, dass der Spaß teuer wird. Haben wir eine Wahl? Nein.

Nun heißt es warten.Wir klettern eine Anhöhe hinauf – ach, hier ist die „Straße“! Dort warten wir auf Jimbo, der nicht kommt. Immer wieder telefonieren wir mit ihm und versuchen ihn herzulotsen, aber Jimbo arbeitet weitgehend ohne moderne Kommunikationsmittel, was die Sache deutlich erschwert. Dann Motorengeräusch und Musik. Ein Quad kommt herangerauscht, besetzt mit vier Personen, die richtig Spaß haben. „Need help?“, tönt es uns entgegen. Der bullige Fahrer steigt aus und lacht sich erstmal schlapp. Ja, das passiere hier dauernd, dass das Navi die Leute in die Irre führt. Kein Problem, er hilft uns raus. Ganz in der Nähe hätten sie ihr Camp, sie müssten nur den Truck holen.

Er düst los, zwei Frauen und ein kleines Mädchen bleiben bei uns; es scheint sich um drei Generationen zu handeln. „Nein, kein Bier für uns, danke.“ Aber wir haben Spaß und unterhalten uns prächtig. Schon ist unser Helfer wieder da – mit Jimbo´s Towservice im Schlepptau. Während die Männer sich mit dem Auto beschäftigen, freunden wir Frauen uns weiter an. Ich verschenke eines meiner Bilder an Augustina (meine neue Facebook-Freundin) und ihre Tochter bekommt Kitty, die uns seit Sydney begleitet.





Dann ist der Ford endlich wieder frei und wir verabschieden uns mit vielen Umarmungen. Was für eine tolle Begegnung, hier am Ende der Welt! Wir fahren mit Jimbo zum Büro, begleichen die Rechnung (240 Dollar, ich hatte mit dem Doppelten gerechnet) und dann nehmen wir die Interstate 8 nach San Diego, ein erstaunlich gemütlicher Highway, also okay für mich.



Als wir uns San Diego nähern, wird es anstrengender. Es ist dunkel, es regnet und der Verkehr nimmt zu. Das gefällt mir nicht und als es mir zu unangenehm wird, ändere ich die Route. So erreichen wir gegen 19 Uhr ziemlich geschafft die Unterkunft. Wir haben kaum noch etwas zu essen – eigentlich müssten wir jetzt auch noch einkaufen. Als ich sehe, was unser Gastgeber Jim für uns vorbereitet hat, kommen mir die Tränen. Gebäck, Obst, Getränke – es ist alles da. Von Yuma nach San Diego: Ende gut, alles gut.

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Mit neuen Reifen von Phoenix nach Yuma
Wir beginnen den Tag mit Frühstück im Stehen und handgefiltertem Kaffee. Den Papierfilter befestigen wir mangels Kaffeemaschine mit einem Gummiband am Becher; Not macht erfinderisch.



Dann wollen wir „eben noch schnell“ das Grab von Thomas Amerika suchen. Thomas war ein Cousin meines Vaters und Besitzer einer großen Farm in Tolleson bei Phoenix. Im Friedhofsbüro kann man mir nicht helfen – es ist kein Thomas Nielsen verzeichnet. Vielleicht wurde er auf dem historischen Friedhof bestattet? Ich bekomme die Adresse und wir machen uns auf den Weg.



Ist die Straße so schlecht oder stimmt etwas nicht mit dem Auto? Immer unruhiger wird die Fahrt und von rechts vorn kommen seltsame Geräusche. Arnd stoppt den Wagen und sieht nach. Oh nein, der Reifen ist kaputt! Wie heißt doch gleich der Stadtteil, in dem wir uns befinden? Goodyear! Und wie es sich gehört, ist der Reifenhändler zum Glück nicht weit. Mit letzter Luft und ganz langsam fahren wir hin. Man empfiehlt uns, die beiden Vorderreifen zu erneuern, am besten jedoch alle vier. Die Reifen sind sechs Jahre alt und haben einiges hinter sich, das sieht man. Also entscheiden wir uns, dem Rat der Werkstatt zu folgen. Was für ein Glück, dass der Reifen nicht mitten in der Wüste aufgegeben hat!



Die Wartezeit vertreiben wir uns in der Brass Armadillo Antique Mall. Über dreitausendfünfhundert Händler stellen hier Antikes, Sammlerstücke, Trödel und Tand aus – eine Riesenhalle voll mit ganz viel scheußlich-schönem Kram. Immer wieder erstaunlich, was Menschen so alles (an-)sammeln!



Nach knapp zwei Stunden holen wir unseren heißgeliebten Ford Explorer frisch bereift ab und sind wieder on the road. Das Grab finden wir auch auf besagtem historischen (und sehr heruntergekommenem) Friedhof nicht und damit es nicht zu spät wird, machen wir uns zügig weiter auf den Weg nach Westen. Um 21 Uhr erreichen wir Yuma am äußersten Zipfel von Arizona; im Süden ist Mexiko, im Westen Kalifornien.



Wir haben für eine Nacht ein Zimmer mit Bad im Haus von Maria gemietet. Maria stammt aus Südkorea und umarmt uns herzlich zur Begrüßung. Sie zeigt uns alles und hat dann noch einen Termin: sie hilft dabei, einen Straßenflohmarkt vorzubereiten, der am Wochenende stattfindet. Arnd und ich machen uns zu Fuß durch die sehr ruhige Wohngegend auf den Weg zu einer Sportsbar um die Ecke, um lecker Burger zu essen.

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Freitag, 9. März 2018
Keine Stühle, keine Gläser und keine zweite Erde
Heute essen wir im Stehen und den Wein trinke ich aus der Flasche. Unser Gastgeber Morgan ist erst vor einem Monat eingezogen und hat weder Stühle noch Gläser, geschweige denn eine Kaffeemaschine, einen Toaster oder einen Fön. Toaster und Fön haben wir selbst, auf den Rest werden wir heute mal verzichten. Das ist Teil unseres Abenteuers, jede Nacht an einem anderen Ort zu verbringen. Heute übernachten wir in Phoenix.



Auf dem Weg von Tucson hierher legen wir einen Zwischenstopp ein: Wir besichtigen Biosphere 2. Wer den Film „Der Marsianer“ gesehen hat, kann sich ungefähr vorstellen, worum es geht: ein geschlossenes Ökosystem. Biosphere 2 ist quasi eine zweite Erde im Miniformat mit Regenwald, Ozean, Subtropen, Wüste und Landwirtschaft. Von 1991 bis 1993 leben vier Frauen und vier Männer zwei Jahre lang unter einem riesigen Dach fast vollkommen abgeschlossen von der Außenwelt – in etwa so, wie man auf dem Mond oder dem Mars leben würde - um herauszufinden, wie man Lebensräume schaffen kann, die auch in unwirtlicher Atmosphäre funktionieren. Heute dient die Anlage als Forschungslabor.



Erkenntnis des Tages: Wenn die Menschheit weiter wächst und so mit ihrem Planeten umgeht wie bisher, wird´s eng. Wirklich schlimm ist das aber nur für den Menschen, die Natur wird sich schon zu helfen wissen beziehungsweise sind der Natur Naturkatastrophen ziemlich egal. Für den Menschen wäre es schon gut, daran zu denken, dass wir keine zweite Erde im Keller haben.

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Donnerstag, 8. März 2018
Von New Mexico nach Arizona
Wir kommen für mein Gefühl viel zu spät in unserer Unterkunft in Tucson an; es ist schon 22 Uhr. Das kommt davon, wenn man (ich) morgens so trödelt, die Tagesstrecke unterschätzt und natürlich nicht weiß, was einen unterwegs so alles erwartet.



Wir verlassen Las Cruces erst nach 12 Uhr mittags und als wir zwei Stunden später in einem gottverlassenen Nest an der mexikanischen Grenze ein Museum entdecken, kann ich nicht widerstehen: ich muss mir das kleine verstaubte ehemalige Eisenbahndepot einfach aus der Nähe ansehen.



Drinnen erwartet uns Betty Dean, eine ältere weißhaarige, sehr freundliche Dame, die ehrenamtlich im Museum arbeitet und uns erzählt, wie in diesem Ort namens Columbus Geschichte geschrieben wurde.



Am 9. März 1916 überfallen vierhundert aufständische Mexikaner die kleine Stadt, plündern und brandschatzen und töten acht Soldaten und zehn Zivilisten. Einer davon ist James Todd Dean, der Besitzer des Lebensmittelladens und Urgroßvater von Bettys Ehemann. Der Überfall endet schlecht für die Mexikaner; etwa zweihundert von ihnen werden getötet. Es ist bis heute der letzte Angriff auf die USA durch Bodentruppen. Wir schauen uns einen kurzen Film an und werfen einen Blick auf die Ausstellungsstücke, gespendet von den Bewohnern der Stadt. Sogar die Eingangstür der Bank steht im Raum – mit Einschussloch. In Columbus ist danach nichts mehr wie zuvor. Ich nehme mir ein kleines Büchlein über die Geschichte mit und dann verabschieden wir uns von Betty.



Gegen 17.30 Uhr erreichen wir Arizona. Wenige Minuten später passieren wir einen weiteren historischen Platz: den Ort der Kapitulation des „letzten freien Kriegers“, des Apachenhäuptlings Geronimo. Viele Jahre lang sieht er sein Volk sterben und leistet erbitterten Widerstand, bis er 1886 einsehen muss: der weiße Mann ist stärker. Den Indianern geht es nicht anders als den Aborigines in Australien. „Leben und leben lassen“ geht anders.



Irgendwann unterwegs holen wir uns Pizza to go, die wir im Auto essen. Eigentlich wollen wir noch fürs Frühstück einkaufen, weil unsere Vorräte so gut wie aufgebraucht sind, aber als wir endlich in Tucson ankommen, ist Arnd zu müde. Also gibt es morgen nur Toast mit Marmelade und ich mache mich an den Plan für die Weiterreise.

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