Mittwoch, 7. März 2018
Krieg und Frieden in New Mexico
Überall in Roswell begegnen wir Aliens. Sie blicken von Plakaten, essen Donuts, stehen vor Geschäften und Tankstellen, prangen auf T-Shirts. Sogar die Straßenlaternen sehen aus wie Außerirdische. Und das alles, weil Mack Brazel am 3. Juli 1947 auf seiner Farm ein riesiges Trümmerfeld entdeckt hat. Man mutmaßt, ein bemanntes UFO sei abgestürzt.



Im UFO-Museum von Roswell frage ich mich, was wahr ist an den Aussagen derer, die damals dabei waren. Wurden die Trümmerteile ausgetauscht gegen Teile eines Wetterballons? Gab es Leichen von Außerirdischen, die heimlich seziert wurden? Gab es eine große Vertuschungsaktion der amerikanischen Geheimdienste? Wer weiß.



In Gedanken versunken fahren Arnd und ich weiter durch die schier endlose Steppe. New Mexico ist nicht nur DAS Ziel für UFO-Forscher aus aller Welt, sondern dank der riesigen menschenleeren Fläche prädestiniert für die Stationierung und Erprobung von Bomben und Raketen aller Art.

Am 16. Juli 1945 explodiert in White Sands, New Mexico die weltweit erste Atombombe. Robert Oppenheimer gibt dem Kind den Namen Trinity-Test nach einem Gedicht von John Donne: „Zerschlage mein Herz, dreifaltiger Gott.“ Drei Wochen später fallen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki; zweihundertdreißigtausend Menschen sterben. Wir passieren den Ort, an dem bis vor wenigen Jahren eine Atombombe gelagert wurde, die hundertmal stärker war als die Bombe, die auf Nagasaki fiel.



Im September endet der 2. Weltkrieg und im November widmet Father Albert Braun die Kirche „Saint Joseph Apache Mission“ in Mescalero den Opfern der Weltkriege – nachdem er über drei Jahren in japanischer Kriegsgefangenschaft verbracht hat. Wir fahren in die Berge und sehen uns die Kirche an, die im Dienste der Apachen steht. Hier scheint das Miteinander von christlicher und indianischer Kultur gut zu funktionieren.



Die Sonne geht bald unter; wir fahren weiter und ahnen nicht, was uns erwartet: White Sands ist einfach atemberaubend. Superfeiner strahlend weißer Sand wie Schnee, Dünen bis zum Horizont und dann ein vollkommen surrealer Sonnenuntergang. Habe ich schon jemals so etwas Schönes gesehen? Absolut still ist es in dieser weißen Welt und darüber wölbt sich ein unvorstellbar farbiger Himmel.



Als es dunkel wird, fahren wir weiter. Inzwischen ist es kühl geworden und wir drehen die Heizung im Auto voll auf. Nach einer weiteren Stunde Fahrt erreichen wir Las Cruces, mit einhunderttausend Einwohnern die zweitgrößte Stadt New Mexicos. Im Jahr 1598 sterben hier viele der ersten spanischen Siedler im Kampf mit den Apachen. Die Überlebenden markieren die Gräber mit Kreuzen: Las Cruces. Hier wohnen wir heute: in einem kleinen Apartment, das wir ganz für uns alleine haben.

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Von Marfa nach Roswell
Wir wachen auf und merken: Es wird nachts verdammt kalt in der Wüste. Mit Heizlüfter geht´s und nach dem Frühstück packen wir unsere Siebensachen, um uns wieder auf den Weg zu machen. Das allerdings nicht, bevor wir Marfa erkundet haben. Ein gewisser Donald Judd soll hier die Welt verändert haben. Ein exzentrischer Künstler aus New York, der die Einsamkeit der Wüste als Inspiration genutzt und hier einiges an Land und Immobilien erworben hat, um Kunst zu machen.



1994 ist er gestorben, aber seine Hinterlassenschaft bleibt. Wir erreichen die Chinati Foundation und stellen fest: Das Museum ist geschlossen. Aber ich wäre nicht ich, wenn ich nicht trotzdem Zugang bekäme. Ein kurzes Gespräch und wir dürfen uns die „15 untitled works in concrete“ auf eigene Faust angucken. Man stelle sich vor: Donald Judd hat Betonquader in Containergröße auf ein riesiges Steppengrundstück quasi geworfen und zur Interpretation freigegeben. Innen sind sie hohl und außen haben sie mehr oder weniger Wände, so dass die Landschaft immer Teil des Kunstwerks ist. Ich bin fasziniert vom Mut und von der Konsequenz des Künstlers. Ein unbequemer Mensch, sehr überzeugt von dem, was er tut und wenig nachsichtig mit anderen.



Marfa und die Wüste: ein Gesamtkunstwerk, genau wie die Häuser, in denen Judd gelebt hat und das Werk „dawn to dusk“ von Robert Irwin, das wir auch noch kurz in Augenschein nehmen: ein Haus in Hufeisenform, rechts hell, links dunkel, so dass man auf dem Weg durch das Haus wie einmal durch den Tag geht. Alles sehr abgefahren.



Nach einem kurzen Blick in das angesagte Hotel Saint George fahren wir tatsächlich ab: Richtung Roswell. Der Weg ist das Ziel und einfach unbeschreiblich. Es geht durch endlose Steppe; nur übers Meer kann man so weit sehen. Kaum ein Auto begegnet uns. Wir fahren durch einsame Hügellandschaften mit atemberaubenden Blicken; der Himmel ist weit und blau, die Wolken malen Bilder, das Land ist unfassbar karg und leer und wunderschön.



Gegen 18 Uhr sind wir in Roswell und der Tag beschenkt uns weiter. Jessie und Scott sind unsere Gastgeber für eine Nacht. Sie ist Ärztin, er organisiert Abenteuertouren mit dem Motorrad und bei Käse, Wein und Bier reden und reden und reden wir – über uns, über das Leben und über das Sterben. Ein wunderbarer Abend nach einem so prächtigen Tag; ich bin einfach nur dankbar für all die Eindrücke, Gefühle und Bilder, die lieben Menschen und die herzlichen Begegnungen.

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Montag, 5. März 2018
Und zack ist es unsers
Arnd spült das Geschirr, der Plattenspieler spielt Musik von John Lennon und der Heizlüfter macht es schön warm. Wir sind in unserem neuen Zuhause in Marfa (zweitausend Einwohner), das zufällig auf dem Weg nach Westen liegt und ein echter Glücksgriff ist. Angeblich gibt es hier null Kriminalität, deshalb muss man gut auf die Fahrgeschwindigkeit aufpassen und am Stoppschild wirklich halten, denn die Polizei hat sonst nichts zu tun. Das sagt uns Julie, unsere Vermieterin des Tages.



Marfa ist ein Ort für (Lebens-)Künstler. Schon der Weg hierher ist ein Gemälde: Landschaft, Landschaft, Landschaft. Texaswüste. Meditation on the road. Vierhundert Meilen entlang der Grenze zu Mexiko. Ich finde es wunderbar.



Und nun sind wir hier im La Luna Casita. Unsere Spaghetti haben wir auf einer einsamen Kochplatte im kleinsten Kochtopf der Welt gekocht, ich habe einen Triller unterm Pony vom billigen Rotwein und es ist einfach nur schön. So ultraschnell haben wir uns noch nirgends eingelebt – und zack ist es unsers!

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Sonntag, 4. März 2018
Remember the Alamo!
Vollkommen fasziniert hänge ich an den Lippen des als Wild-West-Siedler verkleideten Lehrers Mike, der die Geschichte der Schlacht von Alamo und des Staates Texas zum Besten gibt. Wir stehen in der ehemaligen Festung im Zentrum San Antonios, dem Schauplatz der berühmten Schlacht von 1836. Beim heroischen Versuch, die texanische Freiheit (sprich das Recht, Sklaven zu halten) gegen Mexiko zu verteidigen, sterben auf texanischer Seite alle zweihundert Mann. Der Schlachtruf „Remember the Alamo!“ steht bis heute für den Stolz und Freiheitswillen der Texaner.



Genüsslich beschreibt Mike auch das Leben des korrupten mexikanischen Anführers Santa Anna: Achtmal ist er Präsident/Diktator von Mexiko, fünfmal landet er „lebenslänglich“ im Exil und am Ende verkauft er 1848 zwei Fünftel der mexikanischen Staatsfläche an Amerika. Im Anschluss an seine Geschichte lässt auch Mike es sich nicht nehmen, mich mit Tipps für die Weiterreise zu versorgen. Ich notiere.

Arnd macht inzwischen die Bekanntschaft von drei bayerischen Siemens-Mitarbeitern, die geschäftlich in San Antonio sind. Dann wandern wir über das Gelände. Eine Countryband spielt und zwei Paare tanzen im Nieselregen. Wir stärken uns mit Bier und Grillwurst, bevor wir uns auf den Weg zum Riverwalk machen. Der San Antonio River fließt unter Brücken und Straßen hindurch, gesäumt von gemütlichen Gehwegen und Restaurants. Das spanisch-mexikanische Ambiente gefällt mir sehr!



Dann finden wir uns plötzlich in einem bayerischen Lokal wieder und sofort werden wir auf deutsch von Stephanie und ihrer Mutter angesprochen. Letztere ist vor Jahrzehnten aus Deutschland ausgewandert und beide nutzen jede Gelegenheit, deutsch zu sprechen. Stephanie hat Urlaub; sie ist als Soldatin für ein Jahr in Korea stationiert. Wir unterhalten uns prächtig – ich liebe diese netten spontanen Begegnungen!



Und ich bin ganz verliebt in San Antonio, das ist eine Stadt zum Wiederkommen! Auch Texas gefällt mir, es erinnert mich an Bayern: reich, sauber, sehr selbstbewusst und irgendwie anders als der Rest der Welt.

Anders als der Rest der Welt sind auch unsere Gastgeber heute Abend. Wir beginnen damit, das Haus zu bewundern. Erbaut wurde es von Keki Kotwal, einem Zahnarzt und Repräsentanten des Indischen Cricketclubs. Er und seine Frau sammelten Darstellungen nackter Menschen aus aller Welt und das Haus war seinerzeit vollgestopft mit Bildern, Statuen und anderen Kunstwerken. Um das alles unterzubringen, vergrößerten sie das Haus um zahllose Anbauten. Tania und Samuel sind erst vor wenigen Monaten eingezogen und wundern sich immer noch über die Ausmaße des Hauses.



Tania stammt aus Mexiko und serviert uns leckere Gerichte aus ihrer Heimat; wir steuern eine Auswahl verschiedener mexikanischer Biere bei. Wir erwarten, dass Tania und Samuel mehr über unsere Reise erfahren möchten, aber die Unterhaltung bewegt sich in eine völlig andere Richtung und wird intellektuell anspruchsvoll. Unsere Gastgeber sind Anhänger des Anarchokapitalismus und wollen Freiheit statt Demokratie. Steuern und die Unterstützung Bedürftiger gehören abgeschafft, statt gewählter Volksvertreter sollen natürliche Eliten die Ordnung aufrecht erhalten. Nachzulesen ist diese Philosophie bei Hans-Hermann Hoppe oder auch bei Chase Rachels, dessen Buch „Spontaneous Order“ Samuel mir schenkt. Leider können wir die Diskussion nicht vertiefen, denn nach zwei Stunden müssen Tania und Samuel los; Samuel hat noch einen Auftritt als Musiker bei einem Salsakonzert.

Man kann es nicht oft genug sagen: Reisen bildet.

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