Sonntag, 26. November 2017
Take your time
Wir besuchen das Kunstmuseum: Drei herrschaftliche Gebäude aus der Kolonialzeit, die auch wieder ihre beste Zeit hinter sich haben. Wieder einmal ein Museum in staatlicher Verantwortung mit niedrigsten Eintrittspreisen im Shabby Chic. Aber hier hat das Charme – Kunst darf das. Früher gehörten die Villen einem reichen chinesischen Kaufmann, heute ist es das Fine Arts Museum von Saigon.



So gern besuche ich Kunstmuseen und auch hier geht es mir so wie immer in solchen Häusern: Ich genieße die Weite der Räume und es ist, als ob die Zeit, die der Künstler mit seinem Werk verbracht hat, Zeit ist, die er mir schenkt. Kunst ist zeitlos und auch heute bin ich zeitweise wie entrückt. Besonders gut gefällt mir die Sonderausstellung, die in Partnerschaft mir Korea entstanden ist. Südkorea, um genau zu sein. Wenn ich böse wäre, würde ich sagen, Nordkorea hätte mangels Farbe wahrscheinlich nur schwarz-weiß gemalt. Die hier präsentierten Werke sind bunt und haben zum Teil einen ganz eigenen Witz.



Arnd kämpft ein bisschen mit seinem Kreislauf, ist aber wieder einmal die personifizierte Geduld. Das ist ein Geschenk; er lässt mir Zeit. Du musst langsam gehen, wenn du die schönen Dinge sehen willst. Der Museumsbesuch ist eine kleine Zeitreise, ich genieße das.

Auch der Abend wird richtig schön. Zum zweiten Mal essen wir bei Vittorio im Backpackerviertel und schlendern dann gemütlich heimwärts. Und wie immer, wenn ich kurz davor bin, einen Ort wieder zu verlassen, werde ich ein bisschen wehmütig. Ich hoffe, ich habe hier nichts versäumt. Jede Zeit ist einmalig.



Ganz gut sind dann die Konstanten: Jeden Morgen lese ich - egal, wo ich bin - das Flensburger Tageblatt und gleich gucken wir Tatort, online.

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Samstag, 25. November 2017
Wirre Welt
Unser Uber-Fahrer spricht englisch und hat das Bedürfnis, sich uns mitzuteilen. Er würde gern reisen, wird aber niemals die dafür nötigen Papiere bekommen. Er schimpft über die Regierung, die Korruption, die Höhe der Steuern. Es gäbe kein Sozialsystem, den Arzt und die Schule müsse jeder selbst bezahlen und wenn man dann 25 Jahre gearbeitet und Steuern gezahlt habe, bekäme man eine Rente, die nicht zum Leben und nicht zum Sterben reiche. Jeder versuche so viel wie möglich schwarz zu verdienen, damit man dem Staat, der nichts für seine Bürger tue, so wenig wie möglich geben müsse. Das ist also der real existierende Kommunismus aus Sicht eines Teilzeittaxifahrers.

Nachdenklich steigen wir an der Pagode des Jadekaisers aus. Ich erwarte wie im Reiseführer beschrieben eine kleine Parkanlage mit romantischen Tempeln und werde ziemlich enttäuscht. Die Anlage ist heruntergekommen und schmutzig, die Luft ist stickig und so voller Räucherstäbchengewaber, dass ich kaum atmen kann. Vor jedem der prächtigen Altäre steht ein großer Panzerknacker-Tresor für Opfergaben und auch Naturalien werden fleißig gespendet. Obst, Flaschen und originalverpackte Kekse aus dem Supermarkt finden sich auf den Altären. Mich wundert, dass niemand die Schuhe auszieht. Viele Gläubige beten, Touristen schauen und fotografieren. Es ist sehr ruhig. Ich fühle mich seltsam. Einerseits ist da die innige Andacht der Gläubigen, andererseits dieses Gebäude, das so ungepflegt, schäbig und vermüllt wirkt. Irgendwie passt das für mich nicht zusammen. Auch Arnd empfindet das so und wir machen uns verwirrt auf den Weg in den Nachmittag.



Wir passieren das History Museum und erreichen den imposanten Eingang des Tierparks. Eine grüne Oase ist jetzt genau richtig. Denkste. Der Zoo wurde 1865 von einem Franzosen gegründet und war bestimmt mal schön. Jetzt ist er es nicht mehr; man kann es mit einem Wort zusammenfassen: Renovierungsstau. Die Wege sind ungepflegt, das Pflaster an vielen Stellen kaputt, die Gehege sind so schmutzig wie die Tiere bemitleidenswert. Ich stelle mir vor, wie es hier in besseren Zeiten ausgesehen hat. Ich mag Vergnügungsparks, ich liebe Disneyland und das hier war mal ein Mini-Disneyland. Ich stelle mir Kinder in den kleinen bunten Tretbooten vor. Es gibt einen Mini-Wasserpark, hübsche kleine Karusselle und lustige Schießbuden. Jetzt ist alles geschlossen und modert vor sich hin. Nur im Zentrum lärmt, blinkt und glitzert es. Ein seelenloser greller Jahrmarkt ist dort aufgebaut, aber auch da sind kaum Menschen. Und das am Samstag, dem Familienzootag. Nein, hier fühlen sich nur die Ratten wohl. Gerade flitzt wieder eine über den Weg.



Puh, raus hier und rein in den Feierabendverkehr. Und zack, sind wir im District 1 in einer vollkommen anderen Welt. Überall Weihnachtsdekoration. Eine riesige Einkaufsmall lockt uns. Nein, wir wollen nicht shoppen, sondern Aircon, WC, WLAN, Burger & Coke. So ein Konsumtempel hat durchaus seine Vorzüge. Und jetzt wissen wir auch, wo die Menschen sind: Hier! Es ist Black Friday und sie konsumieren, als ob es kein Morgen gäbe. Dieser Tempel ist top gepflegt, alles blitzt und glänzt. So werden nun mal die Prioritäten gesetzt. Geld regiert die Welt.

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Freitag, 24. November 2017
Zu Besuch bei Herbert
Innerhalb von einer halben Stunde hat sich der Preis für unsere geplante Fahrt mit Uber verdoppelt, die Nachfrage bestimmt den Preis und die ist derzeit wohl ziemlich hoch. Egal, ich bestelle den Wagen und wenige Minuten später sitzen wir in einem angenehm temperierten Mazda mit routiniertem Fahrer und sind auf dem Weg zu Herbert.

Herbert ist ein Bekannter von Arnds Bruder und lebt seit zwei Jahren teils in München, teils in Saigon, quasi in betreutem Wohnen, dergestalt, dass die Wohnanlage für Expatriates keine Wünsche offen lässt. Pool, Fitnesscenter, Spa, Minimarkt, Tennisplatz, Volleyballcourt, Bar, Restaurant, Boot- und Busshuttle bietet die sehr gepflegte und gut gesicherte Residenz am Saigonriver, eine halbe Stunde entfernt vom Stadtzentrum. Dreimal pro Woche wird das möblierte Apartment gereinigt. Dieser Teil von Saigon, District 2, wird überwiegend von wohlhabenden Ausländern bewohnt; hier befinden sich auch viele internationale Schulen. Kurze Überlegung: Ich stelle mir vor, hier mit Kindern zu leben. Sehr praktisch, die deutsche Schule ist um die Ecke, ich hätte alle Annehmlichkeiten, könnte den Tag am Pool verbringen und hätte es warm und trocken. Sicher schön. Für zehn Tage oder so.

Nein, auf Dauer wird Saigon keine Heimat für mich. Aber für Herbert und das ist gut so, das fühle ich deutlich. Wir sitzen im Restaurant mit Blick auf den Fluss, lassen uns Pizza, Pasta und Burger schmecken, trinken Bier vom Fass und unterhalten uns über Gott und die Welt. Es gibt so Menschen, die trifft man und kann reden, reden, reden. Wir kommen von einem Thema zum nächsten und langweilen uns keine Sekunde.



Die Liebe hat Herbert hergebracht; beim Tango in Berlin ist es passiert, dort hat er seine demnächst Verlobte kennengelernt. Beide sind geschieden, haben sich nicht gesucht, aber gefunden. Herbert kommt wie Arnd aus der IT-Branche, ist eigentlich Rentner, arbeitet aber noch als freier Berater für namhafte Unternehmen. Er hat sich zum Heilpraktiker Psychotherapie weitergebildet und tanzt leidenschaftlich gern Tango Argentino, was ihn wiederum mit Arnds Segelpartner Ulf verbindet. Segler ist Herbert natürlich auch und seinen Segelschein hat er in Glücksburg gemacht. Die Welt ist ein Dorf.

Wir schneiden so viele Themen an, aber eine Geschichte bringt mich besonders zum Nachdenken. Herbert erzählt von der Brutalität, mit der manche Vietnamesen im Streit aufeinander losgehen. Dass man vorsichtig sein müsse und einen Vietnamesen nicht provozieren dürfe. Vielleicht erklärt sich dadurch auch das fast immer reibungslose Funktionieren des Straßenverkehrs? Ist es gar nicht Respekt und Rücksicht, sondern eher die Angst vor der Reaktion des anderen, die alle dazu bringt, aufeinander zu achten? Weil im Zweifel gilt: Ich habe nichts zu verlieren und kenne keine Gnade? Ich habe ja auch in den USA nie Angst vor Einbrechern, weil der Einbrecher ja immer damit rechnen muss, auf einen bewaffneten Bewohner zu treffen. So halten die Menschen sich gegenseitig auf Abstand und in Schach. Liebevolle Rücksicht wäre eindeutig schöner...

Schon ist die Zeit mit Herbert um, wir verabschieden uns herzlich von unserem sehr angenehmen Gesprächspartner und wünschen uns gegenseitig weiterhin ein gutes Händchen beim Leben. Der Shuttlebus bringt uns zurück ins Zentrum der Stadt. Ich schaue aus dem Fenster, sehe die Unterschiede zwischen arm und reich und denke, dass die hier im kommunistischen Saigon genauso groß sind wie im kapitalistischen Miami.

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