Freitag, 24. November 2017
Zu Besuch bei Herbert
Innerhalb von einer halben Stunde hat sich der Preis für unsere geplante Fahrt mit Uber verdoppelt, die Nachfrage bestimmt den Preis und die ist derzeit wohl ziemlich hoch. Egal, ich bestelle den Wagen und wenige Minuten später sitzen wir in einem angenehm temperierten Mazda mit routiniertem Fahrer und sind auf dem Weg zu Herbert.

Herbert ist ein Bekannter von Arnds Bruder und lebt seit zwei Jahren teils in München, teils in Saigon, quasi in betreutem Wohnen, dergestalt, dass die Wohnanlage für Expatriates keine Wünsche offen lässt. Pool, Fitnesscenter, Spa, Minimarkt, Tennisplatz, Volleyballcourt, Bar, Restaurant, Boot- und Busshuttle bietet die sehr gepflegte und gut gesicherte Residenz am Saigonriver, eine halbe Stunde entfernt vom Stadtzentrum. Dreimal pro Woche wird das möblierte Apartment gereinigt. Dieser Teil von Saigon, District 2, wird überwiegend von wohlhabenden Ausländern bewohnt; hier befinden sich auch viele internationale Schulen. Kurze Überlegung: Ich stelle mir vor, hier mit Kindern zu leben. Sehr praktisch, die deutsche Schule ist um die Ecke, ich hätte alle Annehmlichkeiten, könnte den Tag am Pool verbringen und hätte es warm und trocken. Sicher schön. Für zehn Tage oder so.

Nein, auf Dauer wird Saigon keine Heimat für mich. Aber für Herbert und das ist gut so, das fühle ich deutlich. Wir sitzen im Restaurant mit Blick auf den Fluss, lassen uns Pizza, Pasta und Burger schmecken, trinken Bier vom Fass und unterhalten uns über Gott und die Welt. Es gibt so Menschen, die trifft man und kann reden, reden, reden. Wir kommen von einem Thema zum nächsten und langweilen uns keine Sekunde.



Die Liebe hat Herbert hergebracht; beim Tango in Berlin ist es passiert, dort hat er seine demnächst Verlobte kennengelernt. Beide sind geschieden, haben sich nicht gesucht, aber gefunden. Herbert kommt wie Arnd aus der IT-Branche, ist eigentlich Rentner, arbeitet aber noch als freier Berater für namhafte Unternehmen. Er hat sich zum Heilpraktiker Psychotherapie weitergebildet und tanzt leidenschaftlich gern Tango Argentino, was ihn wiederum mit Arnds Segelpartner Ulf verbindet. Segler ist Herbert natürlich auch und seinen Segelschein hat er in Glücksburg gemacht. Die Welt ist ein Dorf.

Wir schneiden so viele Themen an, aber eine Geschichte bringt mich besonders zum Nachdenken. Herbert erzählt von der Brutalität, mit der manche Vietnamesen im Streit aufeinander losgehen. Dass man vorsichtig sein müsse und einen Vietnamesen nicht provozieren dürfe. Vielleicht erklärt sich dadurch auch das fast immer reibungslose Funktionieren des Straßenverkehrs? Ist es gar nicht Respekt und Rücksicht, sondern eher die Angst vor der Reaktion des anderen, die alle dazu bringt, aufeinander zu achten? Weil im Zweifel gilt: Ich habe nichts zu verlieren und kenne keine Gnade? Ich habe ja auch in den USA nie Angst vor Einbrechern, weil der Einbrecher ja immer damit rechnen muss, auf einen bewaffneten Bewohner zu treffen. So halten die Menschen sich gegenseitig auf Abstand und in Schach. Liebevolle Rücksicht wäre eindeutig schöner...

Schon ist die Zeit mit Herbert um, wir verabschieden uns herzlich von unserem sehr angenehmen Gesprächspartner und wünschen uns gegenseitig weiterhin ein gutes Händchen beim Leben. Der Shuttlebus bringt uns zurück ins Zentrum der Stadt. Ich schaue aus dem Fenster, sehe die Unterschiede zwischen arm und reich und denke, dass die hier im kommunistischen Saigon genauso groß sind wie im kapitalistischen Miami.

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Herbert auch noch mal anders kennengelernt
Ich finde es schön, dass Ihr Herbert von einer anderen Seite kennengelernt habt. Wir hatten immer dieselben Themen gehabt, dass das zwischenmenschliche oft zu kurz kam. Um so schöner, dass jetzt von Euch lesen zu können. Danke, dass Ihr Herbert getroffen habt.

Der Bruder von Arnd

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