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Freitag, 12. Januar 2018
The finest house in the colony
anjaontour, 13:44h
Elizabeth Bay House

Wir stehen in der großen Halle und bewundern die elegant geschwungene Freitreppe, den Kronleuchter, der sich mittels Flaschenzug auf- und abbewegen lässt und die wunderschöne Deckenkuppel.

Auch die Schmetterlingssammlung des Hobbyinsektenforschers Alexander Macleay und seiner Nachkommen ist bestimmt beeindruckend, wenn man sich dafür interessiert. Mich bewegen ein paar andere Dinge viel mehr.

Vor allem ist das der Lebenslauf von Alexanders Ehefrau Elizabeth (1769-1847). Stell dir vor: Du heiratest mit zweiundzwanzig und dann bringst du innerhalb von dreiundzwanzig Jahren siebzehn Kindern zur Welt. Siebzehn Kinder, von denen du sieben wieder beerdigst. Eines davon ist eine Todgeburt, die anderen sind zwei, vierzehn, fünfzehn, sechzehn und siebzehn Jahre alt, als sie sterben.

Dann, mit sechsundfünfzig Jahren, wanderst du mit deinem Mann nach Australien aus. Deine vier überlebenden Söhne (dreiunddreißig, neunundzwanzig, sechzehn und vierzehn Jahre alt) bleiben in England, deine sechs überlebenden Töchter (zweiunddreißig, sechsundzwanzig, dreiundzwanzig, zwanzig, achtzehn und elf Jahre alt) kommen mit und müssen verheiratet werden. Damit die jungen Männer anbeißen und wohl auch, weil dein Alexander ein Faible dafür hat, wird Elizabeth Bay House gebaut, das ihr euch eigentlich gar nicht leisten könnt. Es wird auch erst fertig, als deine Töchter (bis auf eine) längst verheiratet sind. Auf die umlaufende Veranda verzichtet ihr – zu teuer. Du bist siebenundsechzig, als deine älteste Tochter mit dreiundvierzig Jahren stirbt.

Beim Einzug bist du siebzig Jahre alt, ihr seid hoch verschuldet, vor allem bei eurem erstgeborenen Sohn, der aus England anreist und das Haus zwecks Schuldentilgung übernimmt. Du bist sechsundsiebzig, als dein Sohn dich, deinen Mann und die einzige unverheiratet gebliebene Tochter nötigt, zu einer deiner anderen Töchter zu ziehen. Vielleicht bist du aber auch ganz froh darüber, wer weiß. Zwei Jahre darauf stirbst du. Warst du glücklich?

Wir bekommen eine sehr gute Führung und erfahren nicht nur viel über das Schicksal der Bewohner, sondern auch über die Nutzung des Hauses. Bis 1926 war es Wohnhaus, dann wurde es teils von Künstlern, teils für Hochzeiten und Empfänge genutzt.

1941 unterteilte man es in fünfzehn Apartments mit kleinen Küchen und Bädern, die in den siebziger Jahren zurückgebaut wurden, um den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen und das Haus als Museum zu erhalten.
Vom Grundstück von über zweihunderttausend Quadratmetern ist allerdings nicht viel übrig geblieben; es ist fast komplett bebaut mit Wohnhäusern, Geschäften, Straßen und Parkplätzen.

Nur ein kleiner Park zwischen Straße und Bucht erinnert daran, wie es hier einmal ausgesehen haben muss. Nichts ist für immer, aber der Blick aufs Wasser bleibt - man muss nur dicht genug ans Ufer kommen. Der Wind bläst mir ins Gesicht und ich bin froh, dass ich heute lebe.


Wir stehen in der großen Halle und bewundern die elegant geschwungene Freitreppe, den Kronleuchter, der sich mittels Flaschenzug auf- und abbewegen lässt und die wunderschöne Deckenkuppel.

Auch die Schmetterlingssammlung des Hobbyinsektenforschers Alexander Macleay und seiner Nachkommen ist bestimmt beeindruckend, wenn man sich dafür interessiert. Mich bewegen ein paar andere Dinge viel mehr.

Vor allem ist das der Lebenslauf von Alexanders Ehefrau Elizabeth (1769-1847). Stell dir vor: Du heiratest mit zweiundzwanzig und dann bringst du innerhalb von dreiundzwanzig Jahren siebzehn Kindern zur Welt. Siebzehn Kinder, von denen du sieben wieder beerdigst. Eines davon ist eine Todgeburt, die anderen sind zwei, vierzehn, fünfzehn, sechzehn und siebzehn Jahre alt, als sie sterben.

Dann, mit sechsundfünfzig Jahren, wanderst du mit deinem Mann nach Australien aus. Deine vier überlebenden Söhne (dreiunddreißig, neunundzwanzig, sechzehn und vierzehn Jahre alt) bleiben in England, deine sechs überlebenden Töchter (zweiunddreißig, sechsundzwanzig, dreiundzwanzig, zwanzig, achtzehn und elf Jahre alt) kommen mit und müssen verheiratet werden. Damit die jungen Männer anbeißen und wohl auch, weil dein Alexander ein Faible dafür hat, wird Elizabeth Bay House gebaut, das ihr euch eigentlich gar nicht leisten könnt. Es wird auch erst fertig, als deine Töchter (bis auf eine) längst verheiratet sind. Auf die umlaufende Veranda verzichtet ihr – zu teuer. Du bist siebenundsechzig, als deine älteste Tochter mit dreiundvierzig Jahren stirbt.

Beim Einzug bist du siebzig Jahre alt, ihr seid hoch verschuldet, vor allem bei eurem erstgeborenen Sohn, der aus England anreist und das Haus zwecks Schuldentilgung übernimmt. Du bist sechsundsiebzig, als dein Sohn dich, deinen Mann und die einzige unverheiratet gebliebene Tochter nötigt, zu einer deiner anderen Töchter zu ziehen. Vielleicht bist du aber auch ganz froh darüber, wer weiß. Zwei Jahre darauf stirbst du. Warst du glücklich?

Wir bekommen eine sehr gute Führung und erfahren nicht nur viel über das Schicksal der Bewohner, sondern auch über die Nutzung des Hauses. Bis 1926 war es Wohnhaus, dann wurde es teils von Künstlern, teils für Hochzeiten und Empfänge genutzt.

1941 unterteilte man es in fünfzehn Apartments mit kleinen Küchen und Bädern, die in den siebziger Jahren zurückgebaut wurden, um den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen und das Haus als Museum zu erhalten.
Vom Grundstück von über zweihunderttausend Quadratmetern ist allerdings nicht viel übrig geblieben; es ist fast komplett bebaut mit Wohnhäusern, Geschäften, Straßen und Parkplätzen.

Nur ein kleiner Park zwischen Straße und Bucht erinnert daran, wie es hier einmal ausgesehen haben muss. Nichts ist für immer, aber der Blick aufs Wasser bleibt - man muss nur dicht genug ans Ufer kommen. Der Wind bläst mir ins Gesicht und ich bin froh, dass ich heute lebe.

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Donnerstag, 11. Januar 2018
Zeit
anjaontour, 10:44h
Chillen, Sport machen, einkaufen bei Aldi – unser heutiges Programm. Außerdem bereite ich mich auf unsere nächsten Ausflüge vor.

Ich weiß schon, dass der Bauherr von Elizabeth Bay House, Alexander Macleay, über seine Verhältnisse lebte, sich aber trotzdem das schönste Haus am Platz bauen ließ, viele Kinder hatte und mehr an Insekten und Botanik interessiert war als an seinem Job als Kolonialsekretär. Seinem ältesten Sohn William standen regelmäßig die Haare zu Berge angesichts der Unfähigkeit des Vaters, mit Geld umzugehen; immer wieder musste der Sohn den Vater vor dem drohenden Bankrott retten. Drei Jahre vor Papas Tod 1848 (ein tragischer Kutschenunfall) übernahm Sohnemann, ebenfalls begeisterter Insektenforscher, das schicke Anwesen und Eltern und Schwester mussten umziehen.
Hundert Jahre später war der einstige Villenvorort ziemlich heruntergekommen und Elizabeth Bay House aufgeteilt in Wohnungen für Alternative und Künstler. Erst in den Siebzigern übernahmen Historiker das Ruder, sorgten für die Renovierung und nun ist das Haus ein Museum, das wir uns morgen ansehen werden.
Ich liebe es, in all diese Welten einzutauchen. Es ist so schön, dafür Zeit zu haben. Und Arnd macht einfach so mit.

Ich weiß schon, dass der Bauherr von Elizabeth Bay House, Alexander Macleay, über seine Verhältnisse lebte, sich aber trotzdem das schönste Haus am Platz bauen ließ, viele Kinder hatte und mehr an Insekten und Botanik interessiert war als an seinem Job als Kolonialsekretär. Seinem ältesten Sohn William standen regelmäßig die Haare zu Berge angesichts der Unfähigkeit des Vaters, mit Geld umzugehen; immer wieder musste der Sohn den Vater vor dem drohenden Bankrott retten. Drei Jahre vor Papas Tod 1848 (ein tragischer Kutschenunfall) übernahm Sohnemann, ebenfalls begeisterter Insektenforscher, das schicke Anwesen und Eltern und Schwester mussten umziehen.
Hundert Jahre später war der einstige Villenvorort ziemlich heruntergekommen und Elizabeth Bay House aufgeteilt in Wohnungen für Alternative und Künstler. Erst in den Siebzigern übernahmen Historiker das Ruder, sorgten für die Renovierung und nun ist das Haus ein Museum, das wir uns morgen ansehen werden.
Ich liebe es, in all diese Welten einzutauchen. Es ist so schön, dafür Zeit zu haben. Und Arnd macht einfach so mit.
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Mittwoch, 10. Januar 2018
Das einzig Beständige ist die Veränderung
anjaontour, 12:27h
Zwei Busstunden entfernt von Sydney liegt Rouse Hill House & Farm; dorthin fahren wir heute.
Stell dir vor, du lebst im Haus deiner Ururgroßeltern. Dein Ururgroßvater Richard hat als einer der ersten Siedler das Glück, ein großes Stück Land zu bekommen. Er macht es urbar und baut ein Haus, das er 1824 oder 1825 mit seiner Familie bezieht. Richard ist erfolgreicher Unternehmer und Pferdezüchter. Dein Urgroßvater Edwin erbt das Haus, stirbt früh und vererbt es weiter an deinen Großvater Ted, der zu diesem Zeitpunkt erst zwölf Jahre alt ist. Der erwachsene Ted führt mit deiner Großmutter Bessie ein großes Haus, bis die Weltwirtschaftskrise die Familie finanziell ruiniert. Wir schreiben das Jahr 1920, Haus und Grundstück sind immer noch gut in Schuss und elf Jahre später erben deine Mutter Nina und deine Tante Kathleen alles. Nina behält das Haus, den Garten und ein paar Koppeln. Seit 1931, du bist siebenundzwanzig Jahre alt, arbeitest du auf der Farm. 1934 heiratest du und ihr bekommt drei Kinder.

Du lebst also in diesem Haus mit deiner Familie und deiner Mutter Nina, die 1968 stirbt. Die Kinder gehen aus dem Haus, deine Frau stirbt 1984. Ganz allein bleibst du zurück in einem Haus, das einst voller Menschen war. So viele Kinder sind hier groß geworden, immer wieder wurden Gäste bewirtet, hier fanden Konzerte und Jagdgesellschaften statt. Jede Generation gestaltete das Haus um, baute an und um. So viele Menschen arbeiteten im Haus und auf dem Hof, ihr ward erfolgreiche Pferdezüchter, eure Pferde gewannen viele Preise. Und nun bist du ganz allein.

Die letzte gründliche Renovierung des Hauses ist ungefähr hundert Jahre her; Wandfarbe und Tapeten des Schlafzimmers im Obergeschoss stammen aus dem Jahr 1885. Es riecht muffig und in allen Zimmern hat sich so viel angehäuft, dass du nur noch ein oder zwei Zimmer des Hauses nutzen magst. Überall Möbel, Bilder, Erinnerungsstücke aus sechs Generationen – man könnte dich einen Messie nennen. Aber wohin mit all den Dingen, die dir lieb und teuer sind? Auch deine Mutter, deine Großeltern und alle, die vorher hier lebten, mochten sich nicht von den Dingen trennen. So häufte sich Ding auf Ding, der Fernseher aus den Sechzigern steht neben der antiken Kommode aus dem neunzehnten Jahrhundert. Inzwischen sind die Räume so vollgestopft, dass kaum ein Durchkommen ist.

Eines Tages, wir schreiben das Jahr 1978, du bist inzwischen vierundsiebzig Jahre alt, entdecken Historiker die Schätze in deinem Haus. Im Laufe der nächsten Jahre katalogisieren sie über zwanzigtausend Einzelstücke und von Zeit zu Zeit öffnen sie dein Haus für die Öffentlichkeit. Du wohnst weiter in deinem kleinen Bereich, bis du 1993 in ein Seniorenheim ziehst und 1999 stirbst. Nach deinem Tod wird das Haus zum Museum, das Anja und Arnd heute besichtigen.
Die Sammelleidenschaft dieser Familie beeindruckt und erschreckt zugleich. Wann beginnt es bei alten Leute eigentlich wie bei alten Leuten zu riechen? Im Haus, das wir nur im Schnelldurchgang besichtigen können – zu groß ist die Angst der Historiker vor weiterem Verfall – riecht es nach Vergangenheit. Goethe sagte: „Das Leben gehört dem Lebendigen an und wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein.“ Rouse Hill House lebte, solange es sich veränderte. Irgendwann ist es gestorben.
Stell dir vor, du lebst im Haus deiner Ururgroßeltern. Dein Ururgroßvater Richard hat als einer der ersten Siedler das Glück, ein großes Stück Land zu bekommen. Er macht es urbar und baut ein Haus, das er 1824 oder 1825 mit seiner Familie bezieht. Richard ist erfolgreicher Unternehmer und Pferdezüchter. Dein Urgroßvater Edwin erbt das Haus, stirbt früh und vererbt es weiter an deinen Großvater Ted, der zu diesem Zeitpunkt erst zwölf Jahre alt ist. Der erwachsene Ted führt mit deiner Großmutter Bessie ein großes Haus, bis die Weltwirtschaftskrise die Familie finanziell ruiniert. Wir schreiben das Jahr 1920, Haus und Grundstück sind immer noch gut in Schuss und elf Jahre später erben deine Mutter Nina und deine Tante Kathleen alles. Nina behält das Haus, den Garten und ein paar Koppeln. Seit 1931, du bist siebenundzwanzig Jahre alt, arbeitest du auf der Farm. 1934 heiratest du und ihr bekommt drei Kinder.

Du lebst also in diesem Haus mit deiner Familie und deiner Mutter Nina, die 1968 stirbt. Die Kinder gehen aus dem Haus, deine Frau stirbt 1984. Ganz allein bleibst du zurück in einem Haus, das einst voller Menschen war. So viele Kinder sind hier groß geworden, immer wieder wurden Gäste bewirtet, hier fanden Konzerte und Jagdgesellschaften statt. Jede Generation gestaltete das Haus um, baute an und um. So viele Menschen arbeiteten im Haus und auf dem Hof, ihr ward erfolgreiche Pferdezüchter, eure Pferde gewannen viele Preise. Und nun bist du ganz allein.

Die letzte gründliche Renovierung des Hauses ist ungefähr hundert Jahre her; Wandfarbe und Tapeten des Schlafzimmers im Obergeschoss stammen aus dem Jahr 1885. Es riecht muffig und in allen Zimmern hat sich so viel angehäuft, dass du nur noch ein oder zwei Zimmer des Hauses nutzen magst. Überall Möbel, Bilder, Erinnerungsstücke aus sechs Generationen – man könnte dich einen Messie nennen. Aber wohin mit all den Dingen, die dir lieb und teuer sind? Auch deine Mutter, deine Großeltern und alle, die vorher hier lebten, mochten sich nicht von den Dingen trennen. So häufte sich Ding auf Ding, der Fernseher aus den Sechzigern steht neben der antiken Kommode aus dem neunzehnten Jahrhundert. Inzwischen sind die Räume so vollgestopft, dass kaum ein Durchkommen ist.

Eines Tages, wir schreiben das Jahr 1978, du bist inzwischen vierundsiebzig Jahre alt, entdecken Historiker die Schätze in deinem Haus. Im Laufe der nächsten Jahre katalogisieren sie über zwanzigtausend Einzelstücke und von Zeit zu Zeit öffnen sie dein Haus für die Öffentlichkeit. Du wohnst weiter in deinem kleinen Bereich, bis du 1993 in ein Seniorenheim ziehst und 1999 stirbst. Nach deinem Tod wird das Haus zum Museum, das Anja und Arnd heute besichtigen.
Die Sammelleidenschaft dieser Familie beeindruckt und erschreckt zugleich. Wann beginnt es bei alten Leute eigentlich wie bei alten Leuten zu riechen? Im Haus, das wir nur im Schnelldurchgang besichtigen können – zu groß ist die Angst der Historiker vor weiterem Verfall – riecht es nach Vergangenheit. Goethe sagte: „Das Leben gehört dem Lebendigen an und wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein.“ Rouse Hill House lebte, solange es sich veränderte. Irgendwann ist es gestorben.
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