Donnerstag, 11. Januar 2018
Zeit
Chillen, Sport machen, einkaufen bei Aldi – unser heutiges Programm. Außerdem bereite ich mich auf unsere nächsten Ausflüge vor.



Ich weiß schon, dass der Bauherr von Elizabeth Bay House, Alexander Macleay, über seine Verhältnisse lebte, sich aber trotzdem das schönste Haus am Platz bauen ließ, viele Kinder hatte und mehr an Insekten und Botanik interessiert war als an seinem Job als Kolonialsekretär. Seinem ältesten Sohn William standen regelmäßig die Haare zu Berge angesichts der Unfähigkeit des Vaters, mit Geld umzugehen; immer wieder musste der Sohn den Vater vor dem drohenden Bankrott retten. Drei Jahre vor Papas Tod 1848 (ein tragischer Kutschenunfall) übernahm Sohnemann, ebenfalls begeisterter Insektenforscher, das schicke Anwesen und Eltern und Schwester mussten umziehen.

Hundert Jahre später war der einstige Villenvorort ziemlich heruntergekommen und Elizabeth Bay House aufgeteilt in Wohnungen für Alternative und Künstler. Erst in den Siebzigern übernahmen Historiker das Ruder, sorgten für die Renovierung und nun ist das Haus ein Museum, das wir uns morgen ansehen werden.

Ich liebe es, in all diese Welten einzutauchen. Es ist so schön, dafür Zeit zu haben. Und Arnd macht einfach so mit.

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Mittwoch, 10. Januar 2018
Das einzig Beständige ist die Veränderung
Zwei Busstunden entfernt von Sydney liegt Rouse Hill House & Farm; dorthin fahren wir heute.

Stell dir vor, du lebst im Haus deiner Ururgroßeltern. Dein Ururgroßvater Richard hat als einer der ersten Siedler das Glück, ein großes Stück Land zu bekommen. Er macht es urbar und baut ein Haus, das er 1824 oder 1825 mit seiner Familie bezieht. Richard ist erfolgreicher Unternehmer und Pferdezüchter. Dein Urgroßvater Edwin erbt das Haus, stirbt früh und vererbt es weiter an deinen Großvater Ted, der zu diesem Zeitpunkt erst zwölf Jahre alt ist. Der erwachsene Ted führt mit deiner Großmutter Bessie ein großes Haus, bis die Weltwirtschaftskrise die Familie finanziell ruiniert. Wir schreiben das Jahr 1920, Haus und Grundstück sind immer noch gut in Schuss und elf Jahre später erben deine Mutter Nina und deine Tante Kathleen alles. Nina behält das Haus, den Garten und ein paar Koppeln. Seit 1931, du bist siebenundzwanzig Jahre alt, arbeitest du auf der Farm. 1934 heiratest du und ihr bekommt drei Kinder.



Du lebst also in diesem Haus mit deiner Familie und deiner Mutter Nina, die 1968 stirbt. Die Kinder gehen aus dem Haus, deine Frau stirbt 1984. Ganz allein bleibst du zurück in einem Haus, das einst voller Menschen war. So viele Kinder sind hier groß geworden, immer wieder wurden Gäste bewirtet, hier fanden Konzerte und Jagdgesellschaften statt. Jede Generation gestaltete das Haus um, baute an und um. So viele Menschen arbeiteten im Haus und auf dem Hof, ihr ward erfolgreiche Pferdezüchter, eure Pferde gewannen viele Preise. Und nun bist du ganz allein.



Die letzte gründliche Renovierung des Hauses ist ungefähr hundert Jahre her; Wandfarbe und Tapeten des Schlafzimmers im Obergeschoss stammen aus dem Jahr 1885. Es riecht muffig und in allen Zimmern hat sich so viel angehäuft, dass du nur noch ein oder zwei Zimmer des Hauses nutzen magst. Überall Möbel, Bilder, Erinnerungsstücke aus sechs Generationen – man könnte dich einen Messie nennen. Aber wohin mit all den Dingen, die dir lieb und teuer sind? Auch deine Mutter, deine Großeltern und alle, die vorher hier lebten, mochten sich nicht von den Dingen trennen. So häufte sich Ding auf Ding, der Fernseher aus den Sechzigern steht neben der antiken Kommode aus dem neunzehnten Jahrhundert. Inzwischen sind die Räume so vollgestopft, dass kaum ein Durchkommen ist.



Eines Tages, wir schreiben das Jahr 1978, du bist inzwischen vierundsiebzig Jahre alt, entdecken Historiker die Schätze in deinem Haus. Im Laufe der nächsten Jahre katalogisieren sie über zwanzigtausend Einzelstücke und von Zeit zu Zeit öffnen sie dein Haus für die Öffentlichkeit. Du wohnst weiter in deinem kleinen Bereich, bis du 1993 in ein Seniorenheim ziehst und 1999 stirbst. Nach deinem Tod wird das Haus zum Museum, das Anja und Arnd heute besichtigen.

Die Sammelleidenschaft dieser Familie beeindruckt und erschreckt zugleich. Wann beginnt es bei alten Leute eigentlich wie bei alten Leuten zu riechen? Im Haus, das wir nur im Schnelldurchgang besichtigen können – zu groß ist die Angst der Historiker vor weiterem Verfall – riecht es nach Vergangenheit. Goethe sagte: „Das Leben gehört dem Lebendigen an und wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein.“ Rouse Hill House lebte, solange es sich veränderte. Irgendwann ist es gestorben.

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Dienstag, 9. Januar 2018
Input, input, input
Ich glaube, es war im Jahr 2013, da habe ich ein Praktikum im Bestattungshaus Pickardt gemacht. Einer der Kollegen sagte damals, ich bräuchte ganz viel Input. Wörtlich: „Input, input, input!“ Das ist richtig und ich glaube, Sydney kann mir ganz viel Input geben.

Am Montag besuchen wir das Museum of Sydney in der Innenstadt und ich erfahre ganz viel über die ersten Schritte der Europäer auf diesem Kontinent. Im Mai 1787 legten elf Schiffe im englischen Portsmouth ab, an Bord eintausendfünfhundert Menschen, davon rund die Hälfte Strafgefangene. Acht Monate später erreichten sie Australien; unterwegs waren nur siebenundvierzig Menschen gestorben, was für die Zeit ziemlich gut war.

Anfangs bemühte man sich um ein gutes Verhältnis zu den Ureinwohnern, den Aborigines. Später lief wohl einiges aus dem Ruder. Die Europäer hatten Feuerwaffen und damit die Überhand; wir kennen das aus Amerika. Sie drangen weiter ins Landesinnere vor, um neue Anbauflächen zu gewinnen und vertrieben die Ureinwohner. Zudem schleppten sie fremde Krankheiten ein, denen viele Aborigines zum Opfer fielen. Unfassbar traurig, dieser unrühmliche Teil der australischen Geschichte.

Sydney wuchs schnell. 1828 lebten hier fast elftausend Menschen, um 1925 waren es mehr als eine Million und heute sind es fünf Millionen, wobei etwa ein Drittel keine gebürtigen Australier sind.

Einer der ersten gebürtigen Australier mit englischen Wurzeln war William Charles Wentworth (1790–1872), dessen Haus wir heute am Dienstag besichtigen. Das Vaucluse House steht in Sydneys exklusivstem Vorort. Wir nehmen die Fähre vom Stadtzentrum zur Watsons Bay Wharf und ich bin begeistert. Schon die Überfahrt ist ein Genuss mit viel Wind in den Haaren und traumhaften Blicken auf die Stadt. Sehr praktisch: Unsere Opalkarte bezahlt die Überfahrt mit der Fähre genauso wie alle Bus- und Metrofahrten.



Die Bucht ist wunderschön. Wir wandern an tollen Häusern vorbei und erreichen nach einer halben Stunde William Wentworths Haus. William wohnte hier mit seiner Frau Sarah, den gemeinsamen zehn Kindern und sehr vielen Bediensteten (ich glaube, es waren einhundertvierzig). Das Haus ist organisch gewachsen und dadurch ziemlich unübersichtlich – es wurde immer wieder den Bedürfnissen der Familie angepasst. Das Grundstück war damals riesig und beherbergte Nutzgarten, Parkanlage, Waschhaus und Stallungen. Ich finde es immer wieder spannend, durch so ein altes Hause zu gehen und mir vorzustellen, wie die Menschen dort gelebt haben. Wir bekommen eine sehr gute Führung, was für ein Glück.



Es war nicht leicht für die Familie. William und Sarah hatten beide Eltern, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren und zudem waren sie bei der Geburt ihrer ersten beiden Kinder noch nicht verheiratet. Dadurch wurden sie gesellschaftlich nie anerkannt, obwohl William ein angesehener Anwalt und Politiker und maßgeblich an der australischen Unabhängigkeit beteiligt war. In seiner Jugend ist es ihm gemeinsam mit zwei anderen Männern als erstem Europäer gelungen, die Blue Mountains zu überqueren. Damit ebnete er den Weg für die Erschließung von fruchtbarem Land, das es in Sydney so nicht gab. Jeder australische Schüler muss seinen Namen kennen.

Seinerzeit war die Familie zwar sehr reich, doch die gute Gesellschaft wollte nichts mit ihnen zu tun haben - ein großes Problem, wenn man sieben Töchter hat, die verheiratet werden müssen. Die Wentworths bekamen nur wenig Besuch und die eigens dafür eingerichteten repräsentativen Räume wurden kaum genutzt. Zum Ausgleich reisten sie in Europa herum und alle Kinder bekamen eine für damalige Verhältnisse gute Ausbildung – auch die Töchter. Nur eine blieb schließlich unverheiratet, war aber wahrscheinlich damit glücklicher als so manche ihrer Schwestern. Eine starb mit sechzehn, eine mit zweiundzwanzig, eine ließ sich scheiden, eine oder zwei andere wurden von ihren Männern geschlagen. Der älteste Bruder starb mit Anfang dreißig an Überforderung, der jüngste Bruder war Spieler und Lebemann, nur der mittlere war zu gebrauchen. Womit wieder einmal erwiesen wäre: Früher war nicht alles besser und Geld allein macht nicht glücklich.



Nach diesem spannenden Einblick in das Familienleben anderer Leute wandern Arnd und ich die Küste entlang zum Fähranleger Rose Bay. Elbchaussee, Schöne Aussicht und Solitüde können einpacken. Ist das schön hier! Fantastische Häuser mit herrlichem Blick über die Bucht, kleine Strände quasi vor der Haustür, prächtige Parkanlagen, Bootsanleger und über all dem der meist knallblaue Himmel, einfach traumhaft. Beim nächsten Mal nehmen wir Badezeug mit, das ist sicher.



Verschwitzt und müde erreichen wir die Fähre, nehmen dann die Metro und schließlich den Bus, dann sind wir endlich zu Hause. Jetzt noch essen, Blog schreiben und chillen. Gute Nacht!

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